Atheismus und Naturwissenschaft: Warum Wissenschaft letztlich auch eine Glaubensrichtung ist
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Atheismus und Naturwissenschaft: Die prägenden Weltauffassungen unserer Zeit und warum Naturwissenschaft letztendlich auch eine Glaubensrichtung ist
Die moderne Welt präsentiert sich zunehmend als eine, die ohne die Vorstellung eines Gottes auskommt. Auch andere Erklärungsformen, die sich auf höhere Prinzipien oder eine höhere Ordnung berufen, sind heute nicht sehr gefragt. Ganz im Gegenteil: Viele neigen dazu, derartige Erklärungsformen als Spinnerei zu deklarieren. Nietzsche sagte, Gott sei tot und wir hätten ihn getötet. Die Aufklärung legte für diese tödliche Bewegung maßgeblich den Grundstein. Heute sind Atheismus, der Glaube an die Abwesenheit jeglicher Götter und die Naturwissenschaft, die unter dem Banner des Naturalismus operiert – eine Weltanschauung, nach der alles was in der Welt existiert, durch natürliche Ursachen und Gesetze erklärt werden kann, die herrschenden Auffassungen. Der Naturalismus verzichtet dabei vollständig auf übernatürliches und verwendet nur soviel metaphysische Annahmen wie nötig. Vielleicht finden auch Sie sich in diesem Weltbild wieder.
Atheismus und Naturwissenschaft: Die Moderne Welt – befreit von der Metapyhsik
Diese beschriebene Entwicklung prägt nicht nur die Weltanschauungen vieler Menschen, sondern ist auch in der Philosophie und Wissenschaft weit verbreitet. Wer heute ernsthaft Metaphysik betreibt, läuft schnell Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. Dies hat zu einem dominierenden wissenschaftlichen Paradigma geführt, das Phänomene durch empirische Untersuchungen und rationale Analysen zu erklären sucht.
Der Naturalismus impliziert etwas, nämlich die Annahme, dass die Welt vollständig physikalisch beschreibbar ist. Wie wir nun alle wissen, sind wir davon weit entfernt. Doch diese Annahme beinhaltet auch den Glauben, dass alles, was momentan noch nicht naturwissenschaftlich beschreibbar ist, eines Tages durch wissenschaftliche Fortschritte erklärt werden kann. Es wird also davon ausgegangen, dass die Wissenschaft irgendwann in der Lage sein wird, alle Phänomene, ja die Welt im Ganzen zu verstehen und zu beschreiben.
Positionen, die lange Zeit in der Philosophie diskutiert wurden, wie die Existenz Gottes, der Dualismus, Platonismus, Idealismus, ontologischer Realismus oder der Existenzialismus, werden heute oft als unwissenschaftlich und unsinnig abgetan. Die Idee, dass metaphysische Aussagen bedeutungslos sind, geht auf Entwicklungen im 20. Jahrhundert zurück und wurde maßgeblich vom Wiener Kreis um Rudolf Carnap und Moritz Schlick geprägt. Ihr Ziel war es, philosophische Aussagen auf ihre empirische Verifizierbarkeit hin zu prüfen und alles, was diesen Kriterien nicht entsprach, als „sinnlos“ abzulehnen. Dies führte zu einer radikalen Abkehr von metaphysischen Spekulationen und einer Hinwendung zu einer streng empirischen Wissenschaftsauffassung.
Diese Verschiebung hat nicht nur die Naturwissenschaft in ihrer Bedeutung gestärkt, sondern möglicherweise auch den Atheismus gefördert, indem sie die Sichtweise unterstützt, dass übernatürliche und metaphysische Konzepte weniger relevant für das Verständnis unserer realen Welt sind. Diese Tendenz, überkommene Glaubensstrukturen zu hinterfragen und durch empirische Beweise zu ersetzen, spiegelt eine größere gesellschaftliche Verschiebung wider, in der wissenschaftliche Erklärungen zunehmend die Oberhand gewinnen und traditionelle metaphysische und religiöse Ansichten in den Hintergrund drängen.
Der große Erfolg der Wissenschaften liegt aber nicht nur in der Ablehnung metaphysischer Konzepte, sondern vor allem in seiner methodischen-reduktionistischen Arbeitsweise. Dieses Vorgehen, das auf den Prinzipien des Empirismus und des Rationalismus basiert, betont die Notwendigkeit, komplexe Vorgänge in verständliche Einheiten zu zerlegen. Während für Hegel nur das Ganze das Wahre ist, ermöglicht der strenge methodische Reduktionismus, also die Zerlegung komplexer Phänomene in ihre einfachsten Bestandteile, tiefere Einblicke in die Funktionsweise der Natur und präzise Vorhersagen. Durch diese Methode wurden zahlreiche Fortschritte erzielt, von der Entdeckung der DNA-Struktur bis zur Entwicklung moderner Technologien. Doch ein wichtiger Aspekt bleibt dabei oft unberücksichtigt.
Während der methodische Reduktionismus, als der wesentliche Erfolgstreiber für die bahnbrechenden Entdeckungen in der Naturwissenschaft gilt, hat er gleichwohl seine Grenzen. Insbesondere emergente Phänomene, bei denen das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist, entziehen sich einer vollständigen Erklärung durch diese Methode. Beispielsweise können Bewusstsein und subjektive Erfahrungen, die aus der komplexen Interaktion neuronaler Netzwerke im Gehirn resultieren, nicht adäquat durch die Analyse einzelner Neuronen verstanden werden. Ähnlich verhält es sich mit sozialen Interaktionen und kulturellen Entwicklungen, die sich aus der Dynamik zwischen Individuen ergeben und nicht vollständig durch die Untersuchung isolierter menschlicher Handlungen erklärt werden können. Vielleicht hat also Hegel doch recht, wenn er sagt, „Nur das Ganze ist das Wahre“.
Die Grundannahmen der Naturwissenschaft und ihre Grenzen
Das zuvor Beschriebene wissenschaftliche und nüchterne Weltbild, wird für eine Vielzahl von Menschen ein nachvollziehbares sein, mit dem man sich leicht anfreundet. Nun ist es aber so, dass die Annahme, die Welt sei vollständig naturwissenschaftlich beschreib- und erklärbar, durchaus verlockend ist, denn sie scheint auf dem festen Grund der Tatsachen zu stehen. Diese Annahme ist attraktiv, weil sie den sicheren Boden der empirischen Beweise bietet und man sich eben nicht auf das „dünne Eis“ spekulativer Theorien begeben muss. Im Gegensatz dazu wirken metaphysische Annahmen oft abstrakt und bodenlos. Aber so einfach ist es nicht. Trotz ihrer scheinbaren Seriosität hat auch die Naturwissenschaft ein ähnliches metaphysisches Problem wie nahezu jede andere Auffassung auch. Sie kann gar nicht anders, denn ohne dieses feste, aber abstrakte und metaphysische Fundament wäre sie nicht sinnvoll zu betreiben. Allerdings blendet sie dieses Problem oft gekonnt aus.
Denn auch wenn die Naturwissenschaft oft den Eindruck erweckt, auf metaphysische Annahmen gänzlich zu verzichten, ist bereits dieser Verzicht selbst eine metaphysische Annahme. Es ist die metaphysische Position des Naturalismus, metaphysische Positionen weitestgehend auszuschließen. Diese Annahme steht wie ein Axiom im Raum, und bei näherem Hinsehen verschwindet dann auch der scheinbar so feste Boden.
Die Naturwissenschaft bedient sich darüber hinaus nämlich Methoden, die sie selbst nicht wissenschaftlich erklären kann. Nehmen wir dazu einmal die Mathematik. Warum ist es überhaupt möglich, die Natur mathematisch zu beschreiben? Auf diese Frage wird die Naturwissenschaft keine Antwort liefern können. Die Mathematik, als präzises Werkzeug zur Beschreibung der Welt, stützt sich auf abstrakte Prinzipien, die über das Physikalische hinausgehen. Diese Frage stellte sich bereits der bekannte Physiker und Nobelpreisträger Eugene Wigner. In seinem Aufsatz „The Unreasonable Effectiveness of Mathematics in the Natural Sciences” beschäftigt sich Wigner mit der unerklärlichen Fähigkeit der Mathematik, physikalische Phänomene und Vorhersagen so effektiv zu beschrieben. Wigner argumentiert, dass diese „unerklärliche Wirksamkeit“ ein Rätsel darstellt, das von der Naturwissenschaft nicht aufgelöst werden kann, da es die grundlegenden Annahmen über die Beschaffenheit der Welt und unseres Verständnisses davon herausfordert. Dies wirft die interessante und spekulative Frage auf, ob die Mathematik nicht nur ein menschliches Konstrukt ist, sondern möglicherweise eine inhärente und universelle Wahrheit über die Natur reflektiert – ähnlich einem Code der dem Universum zu Grunde liegt. Und genau ab hier betreten wir unweigerlich metaphysischen Boden.
Ein weiteres Beispiel ist das Prinzip der Kausalität, das in der Naturwissenschaft vorausgesetzt wird. Die Annahme, dass jedes Ereignis eine Ursache hat, ist fundamental für wissenschaftliches Arbeiten, aber die Natur der Kausalität ist selbst ein metaphysisches Konzept. Warum die Welt kausal strukturiert ist und ob sie tatsächlich eine kausale Struktur aufweist, die unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert, bleibt eine offene Frage. Seit der Entdeckung der Quantenmechanik wird dieses Prinzip zunehmend in Frage gestellt, weil quantenmechanische Zustände nicht deterministisch sind und Ereignisse auf der Quantenebene nur probabilistisch beschrieben werden können.
Ebenso verhält es sich mit der Existenz objektiver Naturgesetze. Die Naturwissenschaft geht davon aus, dass das Universum durch stabile und konsistente Gesetze regiert wird, die unabhängig von menschlicher Wahrnehmung existieren. Doch warum diese Gesetze existieren und warum sie konsistent sind, kann die Wissenschaft selbst nicht erklären.
Schließlich ist da noch die Frage des Bewusstseins. Wie kann ein rein physikalisches System subjektive Erfahrungen hervorbringen? Trotz aller Fortschritte in der Neurowissenschaft bleibt das „harte Problem“ des Bewusstseins – wie und warum physikalische Prozesse im Gehirn zu subjektiven Erlebnissen führen – ungelöst. Auch hier stößt der Naturalismus an seine Grenzen und muss eingestehen, dass diese Phänomene noch tiefere, möglicherweise metaphysische Erklärungen erfordern.
Diese Überlegungen fordern uns auf, die Grenzen und das Wesen wissenschaftlicher Erklärungen zu überdenken und erkennen zu lassen, dass das Fundament der Naturwissenschaften selbst auf einer Form von Glauben beruht – dem Glauben an die Ordnung und Rationalität des Universums, die sich durch die Sprache der Mathematik offenbart.
Atheismus und Naturwissenschaft: Abschließende Gedanken
Selbst große Physiker wie Albert Einstein („Gott würfelt nicht“) oder der österreichische Quantenphysiker Anton Zeilinger schließen die Existenz eines Gottes nicht kategorisch aus. Sie wissen um die Grenzen der Wissenschaft. Der mittlerweile verstorbene englische Physiker Stephen Hawking sagte einst: „Philosophie ist tot“, während er gleichzeitig über die „kurze Antworten auf große Fragen“ philosophierte. Die Naturwissenschaft behauptet, auf metaphysische Annahmen weitestgehend zu verzichten, kann es schlussendlich aber nicht. Was sie tut, ist eine axiomatische Grundlage zu schaffen, ein Fundament voller Annahmen zu konstruieren, die als Basis für wissenschaftliches Arbeiten dienen. Diese Annahmen – dass es keine übernatürlichen Entitäten gibt, die Natur mathematisch beschreibbar ist, dass Kausalität universell gilt, und dass stabile Naturgesetze existieren – sind letztlich metaphysischer Natur. Sie bilden das Fundament, auf dem die Wissenschaft aufruht, auch wenn sie selbst nicht empirisch bewiesen werden können. Aber auch viele Schlussfolgerungen aus der wissenschaftlichen Arbeit, wie Theorien über die Entstehung des Universums, die Natur dunkler Materie oder die Implikationen der Quantenmechanik, sind metaphysischer Natur. Diese spekulativen Theorien sind nicht direkt beobachtbar und auch nicht falsifizierbar und sie zeigen deutlich, wie eng Wissenschaft und Metaphysik miteinander verbunden sind, indem sie die bestehenden Grenzen unseres Verständnisses ständig herausfordern und erweitern.
Die Annahme, dass die Naturwissenschaft die Welt entzaubert hat, erweist sich bei genauerer Betrachtung als trügerisch. Trotz seiner großen kulturellen Erfolge wird klar, dass auch die Naturwissenschaft (wie auch der Atheismus, der selbst nur ein Glaube ist) in Bezug auf die großen Menschheitsfragen, letztendlich nur eine von vielen Glaubensrichtungen darstellt. Ein Gott lässt sich mit den Mitteln der Naturwissenschaft weder beweisen noch widerlegen. Doch die Erkenntnisse der Naturwissenschaft laden dazu ein, über tiefere, vielleicht sogar designorientierte Ursachen im Universum zu spekulieren. Berücksichtigt man alle Aspekte, erscheint die Idee eines Intelligent Design nicht mehr so weit hergeholt.
Externe Links:
University of Edinburgh: Eugene Wigner – „The Unreasonable Effectiveness of Mathematics in the Natural Sciences”
Spektrum.de – Metzler Lexikon der Philosophie: Metaphysik
Wikipedia: Atheismus
Spektrum.de – Metzler Lexikon der Philosophie: Naturalismus
Spektrum.de – Lexikon der Physik: Wissenschaftstheorie
Interne Links:
Ist das Wissenschaft oder kann das weg? Warum wir nicht, nicht philosophieren können