Authentizität und Konformität
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Authentizität vs. Konformität: Ein universelles existenzielles Spannungsverhältnis
Frankreich,1429. Während der dunkle Schatten des Hundertjährigen Krieges über dem Land liegt, entsteht aus den Tiefen der Verzweiflung eine Gestalt, die gegen jede Erwartung das Schicksal einer Nation zu wenden vermag. Eine einfache Bauerntochter, getrieben von einer Vision und dem unbeugsamen Glauben an ihren göttlichen Auftrag. Jeanne d’Arc, eine junge Frau, die zum Inbegriff des Kampfes gegen Unterdrückung und für die Freiheit wird. Mit nichts als ihrem Glauben und einem unerschütterlichen Willen ausgestattet, löst sie sich als Frau gegen jeden Widerstand von den Fesseln der Konformität ihrer Zeit und führt ihre Landsleute gegen eine scheinbar übermächtige Besatzungsmacht zum Sieg. Aber auch schon Prometheus folgte seiner Überzeugung, als er gegen die göttliche Ordnung aufbegehrte. Indem er das Feuer aus dem Olymp stahl und es den Menschen brachte, bewies er seinen Mut, für die eigene Überzeugung einzustehen. Auch der Protagonist Neo, steht an der Schwelle einer tiefgreifenden Entscheidung zwischen dem Komfort der Ignoranz und dem schmerzhaften Weg der Wahrheit. Seine Begegnung mit dem weißen Kaninchen und die Wahl, die rote Pille zu schlucken, symbolisieren einen bewussten Bruch mit der Illusion und einen mutigen Schritt von der Konformität, hin zu Authentizität. Neo entscheidet sich gegen ein Leben in vorgetäuschter Sicherheit innerhalb der Matrix, einem System, das Konformität über individuelle Freiheit stellt. Stattdessen wählt er einen Pfad, der im Einklang mit seiner inneren Überzeugung steht – ein authentisches Leben, auch wenn es voller Unsicherheiten und Herausforderungen ist.
Authentizität vs. Konformität: Ein universell-menschliches Problem
Zunächst war es ein einfacher Gedanke, aber je mehr ich nachdachte, wurde es mir immer klarer: das Dasein ist ein ständiger Kampf zwischen Authentizität und Konformität. Dieses existenzielle Spannungsverhältnis begegnet uns nahezu überall, ganz gleich ob in Geschichten oder in unserem realen Leben. Vor allem in Geschichten aber, spielt dieses Narrativ oft eine wesentliche Rolle.
Nehmen Sie etwa den Film „Titanic“. Rose, eine junge Frau aus der Oberschicht, ist in eine Welt eingebunden, die von strengen sozialen Normen und Erwartungen geprägt ist. Ihre Verlobung mit Cal, einem wohlhabenden, aber unausstehlich-kaltherzigen Industriellen, symbolisiert die Konformität mit diesen sozialen Erwartungen. Jack hingegen, ein Künstler von bescheidener Herkunft, verkörpert dagegen Authentizität und Freigeistigkeit. Er führt ein Leben, das durch seine Leidenschaft für Kunst und Abenteuer geprägt ist, frei von den Fesseln gesellschaftlicher Erwartungen. Rose entscheidet sich gegen das vorbestimmte, aber leidenschaftslose Leben, das ihre Familie und ihre soziale Klasse von ihr erwarten, und wählt stattdessen ein Leben in Wahrhaftigkeit und Liebe mit Jack. Wenn Sie so wollen, dann ist diese Geschichte der Titanic ein Musterbeispiel für dieses Narrativ.
Sie könnten gerne beliebig weitermachen. Denken Sie an Fight Club, Mulan, American Beauty oder Pinocchio. Ich bin mir sicher, Ihnen fallen noch weitere Filme und Geschichten ein. Wenn Sie immer noch zweifeln, dann bitte ich Sie, einen Moment innezuhalten und über die Geschichten nachzudenken, die uns täglich umgeben – in Filmen, Büchern, sogar in den Nachrichten. Betrachten Sie die Helden und Heldinnen, die gegen das Establishment aufbegehren, die unbequeme Wahrheiten aussprechen, oder an jene die einfach aus Liebe handeln und nicht aus Pflicht. Und dann schauen Sie in den Spiegel. Wo sehen Sie sich selbst in diesem Spannungsfeld? Kennen Sie diese Art der Wahl, sich zwischen der roten und der blauen Pille, sich zwischen ihrem authentischen selbst und der Konformität mit anderen entscheiden zu müssen?
Vielleicht noch ein Beispiel aus der realen Welt. Edward Snowdens Enthüllungen über globale Überwachungsprogramme sind ein zeitgenössisches Beispiel für das Spannungsverhältnis zwischen Authentizität und Konformität. Snowdens Entscheidung, geheime Informationen öffentlich zu machen, spiegelte seine innere Überzeugung wider, dass die Öffentlichkeit das Recht hat, über die Aktivitäten ihrer Regierungen Bescheid zu wissen. Seine Entscheidung führte zu einem Konflikt mit den Erwartungen seiner Rolle innerhalb der NSA und zog erhebliche persönliche Konsequenzen nach sich. Seine Handlungen werfen Fragen nach dem Preis für Authentizität auf , den jeder bereit ist zu bezahlen.
Die Erzählungen von Jeanne d’Arc, Prometheus, Neo aber auch die Geschichte von Edward Snowden sind nicht nur Mythen, Geschichten oder reale Sachverhalte. Sie zeigen uns, dass der Weg im Einklang mit den innersten Werten oft mit Herausforderungen gepflastert ist, dass aber jeder Schritt weg von der Konformität und hin zur Authentizität eine Art Befreiung darstellt – nicht nur für uns selbst, sondern auch für diejenigen, die diese Geschichten hören und sich inspirieren lassen. Sie sind ein Spiegel unserer eigenen Kämpfe zwischen dem inneren Verlangen nach Authentizität und dem äußeren Druck zur Konformität – und, das ist das faszinierende an dieser Sache, sie stammen aus völlig unterschiedlichen Zeiten. Das Problem ist damit nicht neu. Diese Narrationen scheinen ein grund-existenzielles und zeitloses Problem aufzugreifen.
Die narrative Struktur
Dabei scheint es aber so, dass sämtliche Geschichten ein ganz ähnliches Muster aufweisen. Kurz gesagt, enden sie oft nicht gut für die authentischen Protagonisten; oftmals hinterlassen sie sogar eine Tragödie. Diese zeigt vor allem eines. Die Wahl der Authentizität ist oftmals mit hohen Kosten verbunden. Die Erzählungen werfen damit vor allem wichtige Fragen über den Wert dieser Entscheidungen auf.
Und dennoch führen sie uns, aller Tragik zum Trotz, zu einer abschließenden moralischen Einsicht: Authentizität wird in vielen dieser Erzählungen, als höchster moralischer Wert dargestellt, auch wenn sie den Charakteren größtes Leid bringt. Diese Narrative vermitteln, dass der Wert des authentischen Lebens nicht in seinem Ergebnis, sondern in der Treue zu sich selbst liegt.
Aber lassen Sie und das in Ruhe ansehen.
Authentizität als höchster moralischer Wert ?
Nehmen wir dazu wieder Prometheus. Zeus, der erzürnt war über den Verrat und die Missachtung seiner Autorität, bestrafte Prometheus auf grausame Weise. Er wurde an einen Felsen im Kaukasus gefesselt, wo jeden Tag ein Adler kam, um seine Leber zu fressen, die sich jede Nacht regenerierte.
Jean d’Arc wurde, nachdem sie die französischen Streitkräfte 1429 zum Sieg von Orleans führte, 1430 von burgundischen Truppen gefangen genommen und an die Engländer verkauft. Sie wurde der Ketzerei angeklagt und schließlich mit 19 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Auch für Rose aus Titanic nahm die Entscheidung für eine authentische Lebensweise mit ihrem Geliebten Jack, ein dramatisches Ende. Sie überlebte zwar, Jack jedoch erfror vor ihren Augen in den eiskalten Fluten des Atlantiks.
Oder nehmen Sie Romeo und Julia. Ihre tragische Liebe, die den Ansprüchen ihrer verfeindeten Familien trotzt, endet in einem herzzerreißenden Finale mit ihrem gemeinsamen Tod.
Nun, es scheint so, als führe die Entscheidung für eine authentische Lebensweise oft zu einem großen Opfer. Aber nicht nur das. Diese Geschichten lassen uns mit einem Gefühl zurück, das uns mit den Protagonisten sympathisieren lässt. Trotz oder gerade wegen der hohen Opferbereitschaft, beeindrucken uns diese Geschichten moralisch. Wir haben am Ende das Gefühl, dass diese Protagonisten richtig gehandelt haben. Vielleicht ist dieses Ideal der hohen Opferbereitschaft und der Treue zu sich selbst der Grund dafür, warum sie uns als Helden erscheinen. Ob wir in Wirklichkeit selbst diese Opferbereitschaft aufbringen würden, ob wir selbst diesem Ideal bedingungslos entsprechen würden ist sicherlich fraglich – jedenfalls befinden wir uns dann inmitten dieses Spannungsverhältnisses.
Im wirklichen Leben gilt dabei wohl eher: Die Balance halten
Trotz der inspirierenden Ideale ist dieses Spannungsverhältnis in Wirklichkeit wohl eher ein ständiger Balanceakt. Die Geschichten darüber sind oft Tragödien, die uns lehren wollen, was möglicherweise geschieht, wenn wir bedingungslos authentisch sind. Und auch wenn wir den Wert dieser Authentizität als Ideal schätzen, zeigen sie uns – wenn auch oft in überspitzter Form – wohin sie führen können.
Diese Narrative betonen, dass Authentizität nicht nur eine persönliche Entscheidung ist, sondern auch eine Form des Widerstandes gegen externe Erwartungen und Normen. Sie ermutigen den Einzelnen, seinen eigenen Weg zu gehen, auch wenn dieser von der Gesellschaft nicht immer akzeptiert oder verstanden wird. Sie stellen die Authentizität als eine Quelle der Kraft dar, die es Individuen ermöglicht, über sich hinauszuwachsen und außergewöhnliche Taten zu vollbringen.
Der Balanceakt zwischen Authentizität und Konformität ist ein fortwährender Prozess, der in unserem Leben ständig auftritt. In Wirklichkeit geht es darum, einen Mittelweg zu finden, der es uns ermöglicht, unseren eigenen Überzeugungen treu zu bleiben, ohne uns dabei vollständig von der Gesellschaft zu isolieren. Es ist die Kunst, authentisch zu sein, ohne dabei die Verbindung zu jenen zu verlieren, die uns wichtig sind.
Authentizität und der Hang zum Egoismus
Allerdings steht die Authentizität manchmal im Verdacht, zu einem Egoismus zu verkommen. Wer bedingungslos die Selbstwahl praktiziert, verkennt möglicherweise die Bedeutung des Gemeinwohls und der zwischenmenschlichen Verbundenheit. Es ist eine feine Linie zwischen dem Streben nach persönlicher Authentizität und der Anerkennung, dass wir als Teil einer Gemeinschaft auch Verantwortungen gegenüber anderen tragen. Ein zu starkes Fokussieren auf die eigene Selbstverwirklichung kann zu einer Vernachlässigung dieser sozialen Bindungen und Pflichten führen, was wiederum die Gefahr birgt, dass individuelle Freiheit in Selbstbezogenheit, vielleicht auch in Isolation umschlägt.
Die wahre Herausforderung liegt daher nicht nur darin, authentisch zu sein, sondern in der Fähigkeit, diese Authentizität so zu leben, dass sie nicht auf Kosten anderer geht. Es geht darum, einen Weg zu finden, der sowohl der eigenen Wahrheit treu bleibt als auch die Beziehungen zu den Menschen um uns herum und deren Wohlergehen respektiert. Authentizität sollte also nicht als ein isoliertes Streben verstanden werden, sondern als Teil eines größeren Ganzen, in dem die Achtung vor sich selbst und vor anderen, Hand in Hand geht.
Authentizität und Konformität – Schlussbetrachtung
Es klingt nach viel, zu sagen, dass das Dasein ein ständiger Kampf zwischen Authentizität und Konformität ist. Schließlich führen wir auch an anderer Front existenzielle Kämpfe. Und dennoch ist es kaum zu leugnen, dass dieses Spannungsverhältnis ein zentrales Thema unsers Daseins ist. Allein die vielen Geschichten die darüber erzählen, sind er beste Beweis, dass die Auseinandersetzung mit Authentizität und Konformität nicht nur ein intellektuelles oder philosophisches Unterfangen ist, sondern ein tiefgreifendes und universelles existenzielles Problem ist, das uns alle betrifft.
In der Betrachtung des ewigen Spannungsverhältnisses zwischen Authentizität und Konformität offenbart sich eine tiefe Wahrheit unseres Daseins: Beide Kräfte sind essenziell für das menschliche Leben und das soziale Gefüge. Während Authentizität uns ermutigt, unseren eigenen Weg zu gehen und unsere einzigartige Identität zu erkunden, erinnert uns Konformität an die Bedeutung von Gemeinschaft, Zusammenhalt und den gemeinsamen Normen, die das Zusammenleben erst ermöglichen.
Die Geschichten von Jeanne d’Arc, Prometheus, Neo und Edward Snowden – sowie die Reflexionen über Figuren aus „Titanic“, „Fight Club“, „Mulan“ und „Pinocchio“ – illustrieren die Vielschichtigkeit dieses Spannungsfeldes. Sie zeigen uns, dass der Weg zur Selbstverwirklichung reich an Herausforderungen ist und dass Authentizität, obwohl sie eine Befreiung darstellen kann, auch zu Konflikten mit der Gesellschaft führen und sogar in Egoismus umschlagen kann. Ebenso verdeutlichen sie, dass Konformität nicht zwangsläufig Unterdrückung oder Verlust der eigenen Identität bedeuten muss, sondern auch ein Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit bieten kann.
Die wahre Kunst liegt daher nicht in der Wahl zwischen Authentizität und Konformität, sondern im Finden einer harmonischen Balance zwischen beiden. Ein erfülltes Leben erfordert, dass wir lernen, sowohl unseren eigenen Überzeugungen treu zu bleiben, als auch die Bedeutung der Gemeinschaft zu erkennen und zu respektieren. Es geht darum, authentisch zu sein, ohne die Verbindung zu jenen zu verlieren, die uns wichtig sind, und zugleich zu verstehen, dass unsere Handlungen und Entscheidungen im Kontext der größeren Gemeinschaft stehen.
In diesem Sinne ist das Spannungsverhältnis zwischen Authentizität und Konformität weniger ein Kampf, der gewonnen oder verloren werden kann, sondern vielmehr ein fortlaufender Dialog – ein Prozess der Verhandlung und Anpassung, der sowohl persönliches Wachstum als auch sozialen Zusammenhalt fördert. Indem wir diese Dynamik erkennen und anerkennen, können wir nicht nur ein authentischeres, sondern auch ein ethischeres und mitfühlenderes Leben führen, das sowohl individuelle Freiheit als auch soziale Verantwortung angemessen würdigt.
Wie erleben Sie das Spannungsverhältnis zwischen Authentizität und Konformität in Ihrem eigenen Leben?
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Externe Links:
Spektrum – Lexikon der Psychologie: Konformität
Spektrum – Lexikon der Psychologie: Authentizität
Dorsch – Lexikon der Psychologie: Konformität