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Die Nacht: Neues aus Dystopia
Lesedauer < 1 MinuteSie wollten nichts verpassen. Also begannen sie, die Nacht aufzuzeichnen. Alle. Jede Sekunde. Recorder hingen in den Schlafzimmern. In Parks. In Bars. Auf leeren Straßen. Am Morgen wurden die Nächte beschleunigt. Die Aufnahmen liefen in fünffacher Geschwindigkeit. So konnte man sie nacherleben, bevor der neue Tag begann. „Man darf nichts verpassen“, sagte ein Mann im Anzug. Er trug zwei Recorder, einen für Träume, einen für Geräusche. Ein Kind fragte: „Was war gerade?“ Niemand wusste es. Eine alte Frau schüttelte den Kopf. Man sah sich selbst schlafen, sah andere schlafen, sah das Leben jenseits der Nacht, fragmenteweise, flackernd. Später liefen die Nächte parallel zum Tag. Im Hintergrund, auf…
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„Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass….“ – eine Sprachkritik
Lesedauer 3 MinutenEs ist wissenschaftlich bewiesen, dass…. Neulich bin ich auf Facebook auf einen dieser „Faktastisch“-Beiträge gestoßen. Sinngemäß stand dort: „Wissenschaftlich bewiesen: Der ideale Altersunterschied für eine glückliche Beziehung.“ Das ist auf der einen Seite fast schon banal, auf der anderen Seite aber kein Einzelfall. Denn man hört leider oft, dass etwas wissenschaftlich bewiesen sei. Diese Formulierung erzeugt leider zu oft nur den Anschein von Objektivität und Unangreifbarkeit – so, als hätte die Wahrheit nun ihre letzte Gestalt gefunden. Weitergetragen wird diese vermeintliche Gewissheit dann im Gespräch. Der eine erzählt dem anderen, dass die Wissenschaft dieses oder jenes bewiesen hätte. So verbreitet sich dann eine angeblich evidenzbasierte Wahrheit – und gewinnt mit jeder Wiederholung…
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Das Elendorhythmische Kalkül – Eine Anthropologie des Elends
Lesedauer 4 MinutenDie Elenden sollen essen. So lässt es Bach singen. Aber elendig sind wir alle. Denn elend ist nicht nur der Hungernde. Elend ist, wer isst. Wer kauen, schlucken, verdauen muss. Wer an seinen Leib gefesselt ist, wer dem Rhythmus der banalen Notwendigkeiten nicht entkommt. Der Mensch träumt von Freiheit, von Geist, von Ewigkeit. Er schreibt Bücher, predigt Tugend, spricht von Schönheit und Moral. Aber was ist das Erste, was er morgens tut? Er steckt sich etwas in den Mund und scheidet aus. Und was ist das Letzte, bevor er schläft? Er frisst, als wäre die Nacht eine Entbehrung. So hoch er sich auch erhebt, am Ende bleibt eine…
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Möglichkeit und Notwendigkeit: Wie Freiheit Wirklichkeit schafft
Lesedauer 4 MinutenMöglichkeit und Notwendigkeit: Wie Freiheit Wirklichkeit schafft Das Leben beginnt mit einem nahezu endlosen Möglichkeitshorizont. Je älter wir werden, desto mehr Verantwortung tragen wir und desto häufiger stehen wir vor Entscheidungen, in denen sich unsere Möglichkeiten konkretisieren. Man könnte auch sagen, dass jede Wirklichkeit immer auch die Verneinung vieler anderer Möglichkeiten bedeutet. In dem Moment also, in dem etwas wirklich wird, verlieren unzählige andere Möglichkeiten ihre Potenzialität. Kierkegaard spricht davon, dass im Akt der Wahl, das Selbst sich festlegt – und jede Wahl schließt andere Wege aus. In dieser Synthese wird das Potenzial der Möglichkeiten aufgehoben, und zwar im doppelten Sinne: Einerseits wird es verwirklicht (ein Teil der…
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In der Ewigkeit finden wir Trost
Lesedauer 2 MinutenIn der Ewigkeit finden wir Trost Wir sagen: „In ewiger Liebe“, „Du bist für immer mein Sohn oder meine Tochter“, „Ich werde Dich nie vergessen“ oder „Du wirst für immer in meinem Herzen sein“. In Sätzen wie diesen zeigt sich unsere tiefe Sehnsucht nach Bestand, nach der Ewigkeit und nach Trost in einer vergänglichen Welt. Sie sind Ausdruck unseres tiefen Wunsches, dass Liebe, Erinnerung, Identität und Bindungen nicht vergehen. Als Menschen greifen wir nur zu gerne nach der Ewigkeit. Ewige Wahrheiten in Redewendungen und Sprichwörtern spiegeln diese Sehnsucht wider. Wir errichten Denkmäler aus Stein, schreiben Bücher für die Nachwelt und pflanzen Bäume, die unsere eigene Lebenszeit überdauern sollen.…
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Nichts gibt es nicht
Lesedauer 7 MinutenNichts gibt es nicht Der Idealismus würde behaupten: Erst durch das Denken, erschafft der menschliche Geist die Gegensätze. Dualismen wie „Leib vs. Seele“ (oder „Geist vs. Materie“), „Gut vs. Böse“, „Chaos vs. Ordnung“, „Natur vs. Kultur“, „heilig vs. profan“ oder „Sein vs. Nichts“ wären demnach Konstruktionen unseres Geistes. Wenn man nicht gerade metaphysischer Solipsist ist und davon ausgeht, dass man sich nur des eigenen Ichs gewiss sein kann, würden wohl die meisten zustimmen, dass es eine materielle Welt, die Realität (von lat. res, Materie) gibt. Der Leib scheint real zu sein. Ebenso der Stuhl auf dem ich gerade sitze und in meinem Nachbargarten, das, was wir als Baum…
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Heidegger und die Technik: Aufruf zur Gelassenheit
Lesedauer 6 MinutenHeidegger und die Technik: Aufruf zur Gelassenheit Können Sie sich vorstellen, eine Woche lang, ohne Ihr Smartphone zu leben? Für viele klingt das bereits wie eine Zumutung. Schließlich ist das Smartphone unser Portal zur Welt. E-Mails, Social Media, Surfen im Netz, News, KI, Aktienkurse und Krypto, Musikstreaming, Banking oder Spiele. Die Liste an Apps und Funktionen wird täglich länger, und je mehr wir davon nutzen, desto höher steigt unsere Bildschirmzeit. Damit aber nicht genug. Hinzu kommen: Fernsehen, Radio, PC, Laptop, Tablet, VR-Brillen, Smartwatches, Spielkonsolen, smarte Zahnbürsten – die Aufzählung an technischen Alltagsgeräten lässt sich schier endlos fortsetzen. Martin Heidegger (1889–1976) sah voraus, wie tiefgreifend Technik unser Dasein beeinflussen…
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Gottes andere Wahrheit
Lesedauer 2 MinutenWir Menschen neigen dazu, Gott mit unseren Maßstäben zu messen. Wir fragen, warum er Leid zulässt, warum er nicht eingreift, warum er schweigt, wenn wir nach Antworten suchen. Was, wenn all diese Fragen von einer grundlegenden Fehlannahme ausgehen? Was, wenn Gottes Wahrheit nicht die unsere ist, seine Wahrnehmung nicht die unsere ist, seine Prioritäten nicht mit unseren übereinstimmen? Wir begreifen Intelligenz als Sprache, Logik, Reflexion – als das, was uns Menschen ausmacht. Doch wäre ein göttliches Bewusstsein an diese Begrenzungen gebunden? Wäre es nicht viel eher eine Intelligenz, die sich jenseits unserer Kategorien bewegt, die nicht nach unseren Gesetzen urteilt, sondern nach einer Ordnung, die wir nicht erfassen…