
Die Bewertung (Teil 2) – Neues aus Dystopia
Die Bewertung (Teil 2) – Neues aus Dystopia
Sein Score blieb bei 4,29.
Seit drei Tagen unverändert.
Er tat, was erwartet wurde.
Er lächelte. Er schwieg. Er nickte.
Aber die Zahl rührte sich nicht.
Wie eine Mauer.
Still. Undurchdringlich.
Am Morgen, auf dem Weg zur Arbeit, blieb er kurz stehen.
Auf dem Platz vor der Schule übten Kinder.
Ein Mann im grauen Anzug gab Anweisungen.
„Nach einem Lob: Lächeln und Danke sagen. Langsam nicken.“
„Bei Kritik: Augen leicht senken, keine Rechtfertigung.“
„Wer schneller reagiert, bekommt bessere Werte.“
Die Kinder wiederholten brav.
Sätze, Gesten, Blicke.
Einstudiert. Bewertbar.
Sie lachten nicht.
Sie lachten korrekt.
Er sah ihnen zu, eine Weile.
Dann senkte er den Blick.
Zu langes Beobachten war riskant.
Es könnte Fragen aufwerfen.
Und Fragen waren gefährlich.
Am Mittag blinkte eine Nachricht auf seinem Display:
„Score-Optimierung verfügbar. Jetzt stabilisieren: +0,21 Punkte. 129 Credits.“
Eine einfache Entscheidung, hieß es.
Eine kleine Investition in die Zukunft.
Sein Finger zögerte.
Kurz.
Dann berührte er das Feld.
Bestätigung. Verarbeitung. Aktualisierung.
Er wartete auf das Gefühl der Erleichterung.
Es kam nicht.
Am Abend stand er wieder vor dem Spiegel.
Er übte sein Lächeln.
Weich.
Angenehm.
Konform.
Sein Gesicht gehorchte.
Sein Inneres schwieg.
Er war stabilisiert worden.
Nicht verbessert.
Nicht geheilt.
Nur erhalten.
Sein Score zeigte 4,51.
Grün auf Weiß.
Freundlich. Unnachgiebig.
Er lächelte.
Es war, als lächle ihn jemand anderes an.
Die Bewertung (Teil 1) – Neues aus Dystopia
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