Nacht, Nachthimmel, Sternenhimmel
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Philosophie,  Philosophische Lyrik

Über die Nacht

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Lesedauer 2 Minuten

Sie ist Abschluss und Beginn, Anfang und Ende eines jeden Tages. Wenn die Dunkelheit gemächlich, aber zielstrebig die Bühne der Welt betritt, der Tag in einem letzten Akt sein frohes Farbspiel vollzieht und die Dämmerung allmählich das letzte Licht verdrängt, greift die Nacht auf die Welt aus, kolonisiert sie und nimmt sie in ihren Besitz. Stück für Stück durchdringt sie jeden Winkel, hier und da noch ein Licht, das sich ihrer Dunkelheit widersetzt, ihr die Stirn bietet, um sich dann früher oder später doch in ihr zu verlieren. Sie verhüllt das Vertraute und offenbart zugleich das Unbekannte. Das Vertraute versinkt ins Dunkel und erscheint in der ungefügen Form seiner nächtlichen Gestalt. Was sie verschlungen, hält sie fest, bis das Licht es ihr wieder entreißt. Dabei ist sie die eigentliche Herrscherin über die Welt, die ihren Anspruch Tag um Tag erneuert, bis sie in diesem schier endlos erscheinenden Widerstreit irgendwann endgültig die Macht ergreift.

Die Nacht öffnet die Pforten des Himmels, der sich dem Blick des Tages entzieht. Erst im Angesicht dessen, was die Nacht uns preisgibt, erfahren wir uns im Zusammenhang eines größeren Ganzen. Mit der Nacht betritt auch das mystische und unheimliche die Bühne. In der Dunkelheit verbirgt sich eine Welt voller Geheimnisse, deren Preisgabe das Universum beharrlich verweigert. Der nächtliche Blick nach oben verzaubert uns für einen Moment und weist uns zugleich in unsere Schranken. In ihm spüren wir unsere Begrenztheit, unsere Bedeutungslosigkeit, verstehen nicht, verspüren aber einen Hauch von Unendlichkeit. Aller vermeintlichen Welterklärungen zum Trotz, erwacht in ihr das Mystische.

Im Angesicht der Dunkelheit strebt das Auge sehnsüchtig nach Erkenntnis und ist doch auf sich selbst gerichtet. In der Dunkelheit der Nacht kommt der Blick zu sich selbst, richtet sich nach innen, befreit sich von der Last der täglichen Eindrücke. Die Nacht reinigt die Welt von der Umtriebigkeit des Tages und schützt uns vor den Blicken der anderen. In ihr finden wir die Ruhe, abseits der Wogen des Alltags. Sie befreit uns von den Verlockungen und Ablenkungen des Tages und begleitet uns auf einer Reise in die Tiefen unserer Seele. Gedanken, Träume, Sehnsüchte und Gefühle sind die Kinder der Nacht.

Aber wir haben gelernt uns der Nacht zu widersetzen, der Dunkelheit mit aller Gewalt den Kampf anzusagen. Grell leuchtende Inseln künstlichen Lichts vertreiben die Dunkelheit, lechzen aufwendig nach Aufmerksamkeit, machen mancherorts die Nacht zum Tag, als wären sie von ihm besessen. Das Mystische, Verträumte, die Erkenntnis, die Ruhe und der Friede der Nacht kommt hier nicht zu sich, dringt nicht bis dorthin vor. Der Blick nach innen und nach oben bleibt im hellen Schleier des Lichts verborgen.

Gewiss, Licht ist Leben, aber erst wer sich der Nacht öffnet, sie zulässt und in sich aufnimmt hat Anteil an der Ganzheit des Daseins.

Siehe auch:

Der Sprung – oder was es heißt zu springen

Über das „Gut und das Besser“ in der postmodernen Gesellschaft

Was ist Haltung?

Externe Links:

Was ist Nyktophilie – Psychologische Faszination für Dunkelheit und Nacht

https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-dunkle-seite-des-tages-100.html

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