Wissenschaftlich bewiesen
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Wissenschaftstheorie

„Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass….“ – eine Sprachkritik

Lesedauer 3 Minuten

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass….

Neulich bin ich auf Facebook auf einen dieser „Faktastisch“-Beiträge gestoßen. Sinngemäß stand dort: „Wissenschaftlich bewiesen: Der ideale Altersunterschied für eine glückliche Beziehung.“ Das ist auf der einen Seite fast schon banal, auf der anderen Seite aber kein Einzelfall. Denn man hört leider oft, dass etwas wissenschaftlich bewiesen sei. Diese Formulierung erzeugt leider zu oft nur den Anschein von Objektivität und Unangreifbarkeit – so, als hätte die Wahrheit nun ihre letzte Gestalt gefunden.

Weitergetragen wird diese vermeintliche Gewissheit dann im Gespräch. Der eine erzählt dem anderen, dass die Wissenschaft dieses oder jenes bewiesen hätte. So verbreitet sich dann eine angeblich evidenzbasierte Wahrheit – und gewinnt mit jeder Wiederholung auch noch an Autorität.

Gerade aber bei so komplexen, kulturell, sozial und individuell geprägten Themen wie Liebe, Beziehungen oder Glück sind solche Aussagen hochproblematisch. Was soll da bitte „bewiesen“ sein? Ein statistischer Zusammenhang? Eine Korrelation? Eine Momentaufnahme aus einer bestimmten Population in einem bestimmten soziokulturellen Umfeld? Und dennoch wird diese begrenzte Aussage dann generalisiert – und gilt plötzlich als universelle Wahrheit.

Hinzu kommt: Psychologische oder soziologische Phänomene lassen sich nicht objektiv messen wie physikalische Größen. Sie hängen stark von Interpretationen, Modellen und Erhebungsmethoden ab. Was hier als Wissenschaft präsentiert wird, ist leider viel zu oft eine verkürzte Deutung von Daten – selektiv interpretiert, auf Schlagzeilen reduziert und nicht selten sogar aus dem Kontext gerissen. In der populären Darstellung wirkt es dann wie eine unumstößliche Wahrheit.

Sprache schafft Wirklichkeit – das wusste bereits der Philosoph John L. Austin, der in seiner Sprechakttheorie sogenannte performative Aussagen untersuchte: Sätze, die durch ihr bloßes Aussprechen eine Handlung vollziehen – wie ein Versprechen, eine Taufe oder eine Eheschließung. Auch wenn die Aussage „Es ist wissenschaftlich bewiesen“ im engeren Sinne keine performative Aussage ist, trägt sie eine ähnliche Wirksamkeit in sich: Sie setzt etwas, sie schafft Geltung, sie verändert das, was als wahr oder fraglich gilt – zumindest in den Köpfen derjenigen, die es lesen und es nicht hinterfragen.

Der „wissenschaftliche Beweis“ trägt eine autoritative Geste in sich. Diese macht Schluss mit dem Zweifel, stellt Widerspruch unter Verdacht und verschiebt die Machtverhältnisse: Wer beweist, hat Recht. Wer bezweifelt, wird leicht zum Spinner oder Ignoranten abgestempelt. Dabei ist gerade die Wissenschaft – richtig verstanden – ein System des offenen Zweifels, der Revision, der Debatte. Sie lebt vom Widerspruch, vom Nichtwissen, vom methodischen Infragestellen.

Wenn solche Formulierungen wie „wissenschaftlich bewiesen“ zur Alltagssprache werden, dann verengen sie unser Verständnis von Wissen: Weg vom Prozesshaften, Fragenden, Suchenden – hin zu einem dogmatischen Wahrheitsanspruch. So entsteht ein Klima, in dem Wissen nicht mehr als lebendiger Diskurs erscheint, sondern als verbriefte Endgültigkeit.

Das Tragische ist: In dem Moment, in dem Wissenschaft zur Beweisinstanz verklärt wird, entfernt sie sich von sich selbst. Denn Wissenschaft erhebt keinen absoluten Wahrheitsanspruch – sie ist, wie Karl Popper betonte, keine Sammlung gesicherter Wahrheiten, sondern ein System widerlegbarer Hypothesen. Ihre Stärke liegt nicht in der Verifikation, sondern in der Falsifikation: Eine Theorie gilt nur so lange, bis sie durch Beobachtung, Kritik oder bessere Modelle widerlegt oder ersetzt wird.

Doch auch dieser Prozess verläuft nicht glatt oder rein rational. Thomas Kuhn zeigte, dass wissenschaftliche Entwicklung nicht linear, sondern in Paradigmenwechseln verläuft: In Krisenzeiten zerbrechen gewohnte Denkmuster, neue Theorien setzen sich durch – nicht selten auch gegen Widerstände. Was als „bewiesen“ gilt, ist damit nicht nur vorläufig, sondern auch abhängig von historischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen.

Diese Einsichten sind mehr als akademisch – sie sind eine demokratische Notwendigkeit. Denn eine Gesellschaft, die Wissenschaft mit Wahrheit verwechselt, wird unfrei. Sie unterwirft sich vermeintlichen Gewissheiten, statt eigenständig zu denken. Sie glaubt, wo sie prüfen sollte. Sie gehorcht, wo sie fragen müsste.

Wer also von „wissenschaftlich bewiesen“ spricht, übersieht die tief in der Wissenschaft selbst angelegte Dynamik des Zweifels, des Wandels, der Revision. In ihrer besten Form ist Wissenschaft nicht autoritativ, sondern kritisch. Nicht endgültig, sondern vorläufig. Nicht dogmatisch, sondern offen.



Externe Links:

Spektrum.de: Falsifizierbarkeit

Wikipedia: The Structure of Scientific Revolutions – Thomas S. Kuhn

Interne Links:

Ist das Wissenschaft oder kann das weg? Warum wir nicht nicht philosophieren können

Universalien: Ihre Bedeutung in Wissenschaft und Philosophie


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