Am Ende geht es darum, was sie glauben-Glaube ist unvermeidlich
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Es wird wohl einer der letzten heißen Tage dieses Jahres sein. Also auch einer der letzten Abende, an denen ich in meinem Garten am Rande der Unendlichkeit sitze, das Feuer beobachte und die Ruhe und Zurückgezogenheit genieße. Es sind diese mystischen Momente, für die ich mir gerne Zeit nehme. Und da kam mir ein Gedanke: Alles Wissen und aller Wissenschaft zum Trotz geht es am Ende darum, was die Menschen glauben.
Wissen Sie, was ich glaube? Dass der Glaube nicht genug wertgeschätzt wird. Er macht auf mich einen recht gebrechlichen Eindruck. Er hat gelitten, und das sieht man ihm an. Dabei tun wir ihm Unrecht, denn der Glaube ist der Grundmodus unseres Daseins, und er steht nicht in Konkurrenz zum Wissen, wie viele meinen. Allem Wissen und aller Wissenschaft zum Trotz geht es am Ende darum, was die Menschen glauben. Wir können die Atome spalten und das Universum erforschen, doch ob wir diese Fähigkeiten zum Wohle aller einsetzen, bleibt eine Frage des Glaubens.
Der Glaube im Alltag
Lassen Sie uns also einmal über Glauben sprechen! Glauben Sie eigentlich, dass sie morgen wieder aufwachen? Glauben sie an sich selbst oder glauben sie, dass Wissen ein hohes gut ist. Glauben Sie, dass die Banken morgen noch geöffnet sind oder das Universum streng deterministisch ist? Oder Sie glauben, dass es einen technologischen Fortschritt gibt oder glauben Sie an Gott? All das nehmen wir an (oder nicht), weil wir über all das keine Gewissheit haben. Ganz gleich. Sie werden ständig etwas annehmen, ein Weltbild oder eine Sichtweise, was sie nur durch den Glauben zu rechtfertigen im Stande sind.
Dieser Glaube, den wir im Alltag ständig an den Tag legen – an geöffnete Banken, an den technologischen Fortschritt oder daran, dass wir morgen wieder aufwachen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Er ist nicht nur eine Frage des Vertrauens in Institutionen oder Systeme, er ist überhaupt die Frage. Der alltägliche Glaube, ist Ausdruck einer tiefen Überzeugung die uns leitet, eines Vertrauens das uns hilft mit der täglichen Ungewissheit umzugehen – und den wir verdrängt und vergessen haben.
Die Einheit des Glaubens
Sie könnten sich nun fragen, „Warum wirft er alle Formen des Glaubens in einen Topf, also religiösen Glauben, sozialen oder alltägliche Glauben. Es gibt doch Unterschiede?“ Weil jede Form des Glaubens auf ein universelles Konzept zurückführt. Ob der Glaube an ein religiöses Dogma, an den Kapitalismus oder an das eigene Weltbild – all diese Formen des Glaubens teilen eine einheitliche Struktur: den Verzicht auf Wissen. Glauben heißt, Unsicherheit in Kauf zu nehmen und dennoch daran festzuhalten. Überzeugt sein. Darauf vertrauen, was man nicht wissen kann. Das betrifft den religiösen Glauben, wie auch andere Überzeugungen. Ein Mensch der glaubt, dass die Welt in Gut und Böse aufgeteilt ist, oder dass die kapitalistische Lebensform der einzig wahre Weg ist, oder dass Wissen sinnvoll ist, nimmt genauso Unsicherheit in Kauf, wie jemand der an eine höhere Macht glaubt. Gerät ein solches Weltbild ins Schwanken, ist der Schaden immens.
Die Abwertung des Glaubens
Es wird immer so getan, als wäre der Glaube eine ganz beiläufige, optionale Dimension. Als sei der Glaube die schlechtere Wahl, etwas das besser abgewählt werden soll, etwas Unvollständiges, das keine echte Rolle spielt. Etwas dem man besser aus dem Weg geht. Dem Glauben haftet nämlich der Makel des Unwissens an. Glauben heißt bekanntlich nicht wissen. Wissen ist aber das Ideal unserer Zeit. Wissenschaft, Wissensvorsprung, Wissensdurst – alles dreht sich um das Messbare, Beweisbare. Das Wissen ist den Reichen, den Armen bleibt der Glaube.
Wissen als Gradmesser unserer Zeit
Niemand wir wohl leugnen wollen, dass Wissen der Gradmesser unserer Zeit ist. Wissen ist die Währung, für die Ihre Kunden bezahlen. Sie können kaum noch etwas anstellen, ohne dass sie alles dafür Notwendige tun, um zu wissen, was der richtige Weg ist oder um zu wissen, was die richtige Entscheidung ist. Sie wollen schließlich wissen, auf was sie sich einlassen. Betrachten wir einen Raum, in dem die beiden sich rumtreiben, Glauben und Wissen, dann säße der Glaube kauernd im Eck. Eingeschüchtert von der schweren Beweislast die das Wissen gegen ihn vorträgt, muss er sich rechtfertigen vor dem hohen Tribunal, obwohl er sich nicht um das Wissen streiten, sondern eigentlich nur glauben will.
Wissen als Verführer
Das Wissen hat uns fasziniert. Wir sind von ihm besessen. Es bleibt nicht mehr viel Raum oder Zeit für das Glauben. Das Wissen ist attraktiver, verführerisch und lockt es mit seinen Vorzügen wie eine flinke Tänzerin, die mit ihrem Charme die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, uns mit ihren Reizen bezirzt. Sie bewegt sich schnell, elegant. Sie eröffnet immer neue Möglichkeiten, weckt in uns die Sehnsucht nach Kontrolle und Vorhersehbarkeit. Aber sie ist flüchtig. Denn die Vorhersehbarkeit des Wissens reicht nicht weit. Sie endet am Horizont, wo die Ungewissheit beginnt. Der Glaube aber, geht mit uns dorthin, wohin sich das Wissen nicht traut. Es verabscheut die Ferne.
Der Glaube ist unvermeidlich
Bei all dem Hang zum Wissen haben wir vergessen, dass es am Ende immer darauf ankommt, was wir glauben. Der Glaube ist existenziell, und er erwacht in dem Moment, in dem wir uns dem Universum stellen. Der Glaube ist so wenig wegzudenken wie das Denken. Die unauflöslichen Unsicherheiten unseres Daseins – die Tatsache, dass wir nicht wissen, warum wir hier sind und was das Ganze soll – führen notwendig zum Glauben. Der Glaube ist unvermeidlich und unüberwindbar.
Der Glaube – Grundmodus ohne Anerkennung
Täglich leitet uns das an, woran wir glauben. Vertrauen in unsere Werte, in unsere Vorstellungen von den Dingen. Er ist ein Grundmodus, der aber vom Wissen nicht geschätzt wird. Deswegen hat auch der Glaube einen schlechten Ruf. Der Glaube ist in der Welt des Wissens eine Mangelerscheinung. Glauben ist aus Sicht des Wissens unvollendet, vage und unbefriedigend. Er wird daher geringgeschätzt. Der Glaube wartet in der Welt des Wissens vergeblich auf seine Anerkennung.
Aber am Ende wird auch das Wissen sich damit begnügen müssen, dass es auch an etwas glauben muss.
Am Ende geht es immer darum, was wir glauben. Denn der Glaube ist nicht zu vermeiden – er ist nicht nur die Grundlage unseres Daseins, sondern auch des Wissens selbst, auch wenn wir ihn oft verdrängen und vernachlässigen.
Interne Links:
Die Absurdität des ewigen Lebens im Paradies
Externe Links:
Das Sonntagsblatt: Wissenschaft und Glaube – Wie sind die Themen vereinbar