Hegels Rechtsphilosophie
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„Was vernünftig ist, ist wirklich und was wirklich ist, ist vernünftig“
Georg Friedrich Wilhelm Hegel
Dieser oft sehr kontrovers diskutierte Satz, steht in engem Zusammenhang mit Hegels Rechtsphilosophie. Hegel argumentiert, dass das, was vernünftig ist – also das, was durch den Prozess der Vernunft als richtig und gerecht anerkannt wird – auch in der Realität existieren sollte. Wenn etwas wirklich ist, dann hat es sich laut Hegel durch die Prozesse der Vernunft und Geschichte als vernünftig erwiesen. So betrachtet wird die Vernunft nicht nur als eine abstrakte Idee verstanden, sondern als eine in der Welt wirksame Kraft, die die Wirklichkeit formt und durch diese reflektiert wird.
Auch Hegels Konzept des „objektiven Geistes“ ist zentral für das Verständnis seines Satzes über Vernunft und Wirklichkeit. Der objektive Geist ist keine eigenständige Entität, als vielmehr die Strukturen und Institutionen der Gesellschaft, wie das Recht, die politischen Systeme und die kulturellen Normen. Diese sind nicht nur Produkte menschlicher Vernunft, sondern auch Rahmenbedingungen, die das menschliche Handeln und Denken formen.
In diesem Kontext betrachtet Hegels Rechtsphilosophie das Recht als eine Manifestation des objektiven Geistes. Es ist eine konkrete Verwirklichung der Vernunft in der Welt, die sowohl die individuelle Freiheit als auch das kollektive Wohl gestaltet. So verbindet das Recht die theoretische Vernunft mit der praktischen Anwendung und zeigt, wie die Ideale der Vernunft in den tatsächlichen Institutionen und Praktiken einer Gesellschaft realisiert werden. Diese Integration von Idealen und realen Bedingungen spiegelt Hegels Idee wider, dass das, was vernünftig ist, wirklich ist und umgekehrt.
Ansätze von Hegels Rechtsphilosophie
Hegels Rechtsphilosophie bezieht sich nicht auf die Reflexion bestehender Normen und Gesetze. Vielmehr geht es ihm um den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung in der Welt. Es geht Hegel also um eine tiefergehende theoretische Reflexion darüber, was Recht eigentlich ist und wie es sich von anderen sozialen Normen oder ethischen Prinzipien unterscheidet und um die praktische Umsetzung des Rechtsbegriffs in der gesellschaftlichen Realität.
Weiterhin sieht Hegel das Recht als den praktischen Ausdruck und die Materialisierung der Freiheit. Die Rechtsidee ist nicht nur ein theoretisches Sollen, sondern manifestiert sich konkret in der Welt, um Freiheit greifbar zu machen. Institutionen des Rechts, also Gerichte, Gesetze usw. sind für Hegel nicht nur abstrakte Ideen, sondern lebendige Ausdrücke der Freiheit, die unser Zusammenleben gestalten. Hegel kritisiert auch die Sichtweise, die das Recht nur als Produkt der Geschichte (siehe Artikel zur „Historischen Rechtsschule“) sieht. Er glaubt, dass wir das Recht in seiner gegenwärtigen und vernünftigen Form verstehen sollten, unabhängig davon, wie es entstanden ist. Jeder sollte das Recht verstehen und darauf zugreifen können, weil es letztlich um die Verwirklichung unserer Freiheit geht.
Nach Hegel ist das Recht also nicht nur eine Angelegenheit für Experten. Es betrifft jeden, da es unsere Freiheit im Alltag formt und ermöglicht. Der freie Wille jedes Einzelnen spielt dabei eine große Rolle; er zeigt sich in unseren täglichen Entscheidungen und Handlungen. Indem wir handeln, bringen wir unsere persönlichen Ziele in Einklang mit der Welt um uns herum, nutzen unsere Freiheiten und gestalten so unsere Gesellschaft. Hegel sieht das Recht als das Werkzeug, das uns dabei hilft, unsere Welt so zu formen, dass sie unsere Freiheit widerspiegelt.
Das abstrakte Recht
Eigentum und Vertrag
Hegels Behandlung des „abstrakten Rechts“ im Rahmen seiner Rechtsphilosophie beginnt mit den Konzepten von Eigentum, Vertrag und dem daraus möglichen Unrecht, auf das Zwang folgt.
In Hegels Rechtsphilosophie steht das Eigentum für weit mehr als nur materiellen Besitz. Es ist Ausdruck der persönlichen Freiheit, Teil der „Sphäre der Freiheit“ der Person. Wenn jemand Eigentum besitzt, bedeutet das, dass er über etwas in der Welt verfügen kann, das seinen Willen und seine Freiheit widerspiegelt. Diese Sichtweise verankert das Eigentum im Bereich des Willens: Eine Person verwirklicht ihren Willen durch Besitznahme, wodurch das Objekt eine Erweiterung ihres freien Willens wird. Das Eigentum wird so zu einem Teil der eigenen Identität – es ist, als würde der Besitzer durch die Dinge, die er besitzt, in der Welt sichtbar.
Verträge bauen auf dieser Idee auf, indem sie die Beziehung zwischen Menschen regeln, die sich gegenseitig als freie und eigenständige Individuen anerkennen. In einem Vertrag geht es nicht nur um den Austausch von Gütern, sondern um die Anerkennung und Bestätigung von Rechten und Pflichten, die weit über den materiellen Wert der getauschten Objekte hinausgehen.
Unrecht nach Hegels Rechtsphilosophie dann, wenn diese Rechte verletzt werden. Der Staat greift dann häufig mit Zwangsmaßnahmen ein, um die Rechte der Betroffenen wiederherzustellen und ihre Freiheit zu schützen. Hegel nimmt auch Bezug auf gesellschaftliche Ungerechtigkeiten wie die Sklaverei, die er als Negation der Freiheit sieht. Er betont, dass wahre Freiheit gesellschaftlich anerkannt und rechtlich geschützt sein muss, wobei der Staat eine entscheidende Rolle spielt, um zu gewährleisten, dass jeder als freie Person anerkannt wird.
Das Unrecht
Hegel entwickelt das Konzept des Unrechts weiter, indem er es im Rahmen von Verträgen betrachtet, eine Idee, die über Hobbes‘ Beschreibung des Naturzustands hinausgeht. Hobbes erklärte, dass im Naturzustand, also bevor eine zentrale Autorität oder Regeln etabliert wurden, jeder nach persönlichen Bedürfnissen ohne rechtliche Einschränkungen handelt. In diesem Zustand gibt es keine festgelegten Gesetze oder Verträge, und folglich kann kein Verhalten als unrecht angesehen werden, da es keine anerkannten Normen gibt.
Hegel argumentiert, dass das Konzept des Unrechts erst relevant wird, wenn durch Verträge ein Rahmen geschaffen wird, in dem Rechte und Pflichten definiert sind. Verträge etablieren klare Erwartungen und Verpflichtungen, wodurch bestimmte Handlungen als Verstöße und somit als Unrecht identifiziert werden können.
Hegel unterscheidet zwischen zwei Arten des Unrechts: das „unbefangene Unrecht“ und das bewusste Verbrechen. Das unbefangene Unrecht tritt auf, wenn Personen in gutem Glauben handeln, aber aufgrund von Missverständnissen oder Mehrdeutigkeiten im Recht zu unterschiedlichen Interpretationen gelangen. Dies kann zu bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten führen, in denen jede Partei glaubt, im Recht zu sein, und einen Schiedsrichter heranzieht, um den Konflikt zu entscheiden. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die unterschiedliche Interpretation eines Vertragstextes durch die beteiligten Parteien.
Im Gegensatz dazu steht das bewusste Verbrechen, bei dem der Täter wissentlich und willentlich das Recht bricht und somit die anerkannte Ordnung des objektiven Geistes verlässt. Hegel betont, dass solche Handlungen, obwohl sie auf eine gewisse Weise „interessant“ sein können, in ihrem Kern banal und nihilistisch sind. Sie enthalten nichts Wahres oder Lebendiges und sind in diesem Sinne vollständig nichtig. Hierbei zeigt sich eine gewisse Parallele zu Hannah Arendts Konzept der „Banalität des Bösen“, die darauf hinweist, dass das Böse oft nicht aus monströsen Absichten heraus entsteht, sondern aus gewöhnlichem, alltäglichem Fehlverhalten.
Hegels Straftheorie oder die Negation der Negation
In Hegels Rechtsphilosophie wird das Verbrechen als eine Form der Negation des objektiven Geistes angesehen, also als eine Handlung, die gegen die gesellschaftlich anerkannten Gesetze und Normen verstößt. Die Antwort darauf ist die Strafe, die nicht nur eine Reaktion auf das Verbrechen ist, sondern auch eine objektive Darstellung der Nichtigkeit des Verbrechens. Durch die Strafe wird der Gemeinwille des Rechts gegenüber dem Einzelwillen des Verbrechers durchgesetzt.
Hegel sieht in der Strafe einen doppelten Prozess: Erstens wird durch das richterliche Urteil die Nichtigkeit des Verbrechens ausgesprochen, und zweitens beweist der Strafvollzug die überlegene Macht des Rechts. Dies verdeutlicht, dass der Einzelwille des Verbrechers der Ordnung und den Gesetzen des objektiven Geistes nicht widerstehen kann.
Interessant ist Hegels Perspektive auf die Funktion der Strafe. Er argumentiert, dass die Strafe nicht subjektiv, also nicht für Abschreckung oder Besserung gedacht ist, sondern vielmehr die objektive Ordnung des Rechts bestätigt, indem sie die Negation (das Verbrechen) durch ihre eigene Negation (die Strafe) überwindet. Diese Sichtweise spiegelt Hegels dialektischen Ansatz wider, nach dem die Realisierung des objektiven Geistes sich durch die Aufhebung seiner eigenen Widersprüche vollzieht.
Darüber hinaus betont Hegel, dass ein Verbrecher, der seine Strafe verbüßt hat, vollständig wieder in die Gesellschaft integriert werden sollte. Nach der Verbüßung der Strafe gilt der Verbrecher als wieder mit dem objektiven Geist versöhnt und sollte als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft anerkannt werden. Diese Sichtweise unterstreicht die transformative und rehabilitative Dimension von Strafe in Hegels Denken und hebt hervor, dass die Strafe letztendlich darauf abzielt, die sittliche Ordnung wiederherzustellen, nicht den Bestraften dauerhaft auszuschließen.
Die Moralität
In Hegels Überlegungen zur Moralität geht es um das Zusammenspiel zwischen individuellen Überzeugungen und allgemeinen Rechtsprinzipien. Er sieht Moralität nicht einfach als Ausdruck individueller Wünsche, sondern als den Versuch, eine geistige Welt zu formen, die durch die eigenen Überzeugungen geprägt ist. Im Gegensatz dazu betrachtet das abstrakte Recht Freiheit als etwas, das bereits in den bestehenden Gesetzen existiert. Für Hegel ist Moralität jedoch eine persönliche Aufgabe: Freiheit muss subjektiv erreicht werden, und vorhandene Rechtssysteme erscheinen oft als eine Form von „entfremdeter Freiheit“, die nicht unbedingt die persönlichen Überzeugungen des Einzelnen reflektiert.
In dieser moralischen Suche wendet sich das Individuum intensiv nach innen und wird zu seinem eigenen Richter sowie zum Richter der Welt. Diese Rolle des Gewissens kann jedoch zweischneidig sein: Es ist einerseits eine Quelle ethischer Überlegungen, kann aber andererseits zu Selbstüberhöhung und Eitelkeit führen. Hegel illustriert die Gefahren dieser rein subjektiven Moralität mit dem Beispiel der Französischen Revolution, in der der Drang nach moralischer Reinheit zu Tugend und Terror führte.
Hegel kritisiert zudem ideologische Ansätze, die von allen Menschen dieselbe Moralvorstellung fordern, anstatt die Vielfalt individueller Überzeugungen zu akzeptieren. Er argumentiert, dass eine Gesellschaft, die auf dem Respekt vor verschiedenen moralischen Ansichten basiert, eine solidere Grundlage für friedliches Zusammenleben bietet.
Diese Ideen führen zu Hegels Konzept der Sittlichkeit, in dem er erforscht, wie unterschiedliche Individuen in einer Gemeinschaft zusammenleben können, ohne dass eine einheitliche moralische Übereinstimmung erforderlich ist. Dies eröffnet einen Weg, wie in einer pluralistischen Gesellschaft ein harmonisches Zusammenleben möglich ist, indem die individuellen Unterschiede als Teil des sozialen Lebens anerkannt werden.
Sittlichkeit – Familie, Gesellschaft und Staat
Unter Sittlichkeit versteht Hegel einen ethischen Rahmen, der das gesellschaftliche Zusammenleben strukturiert, indem er verschiedene freie Willen in einem höheren Allgemeinen integriert. Dieser Rahmen ermöglicht es, Subjektivität und Interpersonalität zu einer Einheit zu verschmelzen, in der individuelle Freiheiten nicht nur koexistieren, sondern sich gegenseitig stärken und fördern.
Hegel unterscheidet mit der Familie, der Gesellschaft und dem Staat drei Formen der Sittlichkeit. Die Familie ist die grundlegende Einheit des gesellschaftlichen Lebens, geprägt von Liebe, Vertrauen und Fürsorge. Ihre substanzielle Einheit überwiegt die Individualität ihrer Mitglieder, und sie bietet einen unmittelbaren Rahmen für die erste ethische und emotionale Entwicklung des Individuums. Doch innerhalb der Familie existiert eine dialektische Spannung zwischen der engen Bindung an die Gemeinschaft und dem Streben nach persönlicher Freiheit.
In der bürgerlichen Gesellschaft wird das Individuum zunehmend zum Subjekt, das sich von anderen Personen abgrenzt und seine eigene Identität stärker betont. Dies führt zu einer Transformation der familiären Einheit, wobei die Familie nicht mehr nur im Innenverhältnis, sondern im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Akteuren betrachtet wird. Hegel sieht diese Phase als notwendige Entwicklung an, die das Individuum zur Selbstständigkeit und zur Anerkennung seiner subjektiven Rechte führt. Die bürgerliche Gesellschaft ist der Raum, in dem Individuen ihre Subjektivität voll ausleben und in dem das Rechtswesen die Interaktionen zwischen den Personen reguliert.
Der Staat repräsentiert die höchste Form der Sittlichkeit und ist die Verwirklichung einer umfassenden Gemeinschaft, die mehr als nur eine Ansammlung von Individuen ist. Hier verschmelzen individuelle und kollektive Interessen zu einer gesamtheitlichen Einheit. Der Staat beruht auf dem Vertrauen seiner Bürger und auf der Anerkennung einer überindividuellen, objektiven Ordnung. Er ist nicht nur ein regulierender Körper, sondern auch eine Manifestation der ethischen Idee, die die Freiheiten der Individuen in einem sinnvollen System harmonisiert.
In seiner idealen Form kann der Staat als ein lebendiges Ganzes betrachtet werden, in dem die Individuen sich frei entfalten können, unterstützt durch Institutionen, die Kunst, Religion und Wissenschaft fördern. Ist der Staat jedoch diesen höheren Zielen des absoluten Geistes feindlich, so riskiert er, seine Legitimität zu verlieren – eine Warnung, die Hegel in den Kontext seiner Zeit und die Dynamiken der modernen Gesellschaft einbettet.
Diese drei Stufen der Sittlichkeit zeigen auf, wie Hegel das Zusammenleben der Menschen in einer fortschreitenden Entwicklung von der unmittelbaren familiären Bindung über die individuierende Gesellschaft bis hin zur umfassenden staatlichen Gemeinschaft versteht. Jede Stufe trägt zur Entfaltung der Freiheit bei und reflektiert das Streben des Geistes, eine vollständig freie und vernünftige Wirklichkeit zu erreichen.
Hegels Rechtsphilosophie: Schlussbetrachtung
In seiner Rechtsphilosophie entfaltet Hegel eine komplexe und tiefgründige Vision, wie Vernunft und Wirklichkeit miteinander verwoben sind, um die Strukturen unserer gesellschaftlichen und individuellen Existenz zu formen. Der Leitsatz „Was vernünftig ist, ist wirklich und was wirklich ist, ist vernünftig“ fungiert dabei nicht nur als philosophisches Postulat, sondern als operative Anleitung für die Gestaltung gerechter gesellschaftlicher Systeme. Hegel fordert uns auf, die Vernunft als eine dynamische und gestaltende Kraft zu begreifen, die sowohl das Recht formt als auch durch dieses reflektiert wird.
Die Einbettung des Rechts in den weiteren Kontext des objektiven Geistes verdeutlicht, dass gesellschaftliche Institutionen wie das Recht, politische Systeme und kulturelle Normen nicht als starre oder isolierte Strukturen zu verstehen sind, sondern als lebendige Ausdrücke der menschlichen Vernunft, die das individuelle und kollektive Leben prägen. Diese Institutionen bieten den Rahmen, in dem Freiheit nicht nur als abstraktes Ideal, sondern als konkrete Lebensrealität erfahren wird.
Durch die Betonung der Sittlichkeit, die sich in den Sphären der Familie, Gesellschaft und des Staates manifestiert, stellt Hegel die Bedeutung der ethischen und moralischen Dimensionen des Lebens heraus. Er zeigt auf, dass wahre Freiheit und Vernunft nur in einem Kontext realisiert werden können, der sowohl die tiefen persönlichen Bindungen der Familie als auch die umfassenderen sozialen und politischen Strukturen der Gesellschaft und des Staates umfasst.
Interne Links:
Naturrecht: Das Recht aus der Ableitung aus höheren Prinzipien
Externe Links:
www.Zeno.org: Hegel – Die Grundlinien der Philosophie des Rechts