
Ich will frei sein – sagt das Ich.
Ich will frei sein – sagt das Ich.
„Frei sein. Ich sein!“ Ich hab diese Worte erst kürzlich in einem Facebook-Kommentar gelesen. Ich musste ein wenig schmunzeln, denn da steckt ja doch eine ordentliche Portion Romantik und Nostalgie drin. Das „freie Ich“, das ganz es selbst sein darf. Das klingt fast wie das Glaubensbekenntnis einer ganzen Epoche, die für Freiheit, Autonomie und Selbstverwirklichung steht.
Dabei sind gerade diese beiden Konzepte in der letzten Zeit mächtig unter Druck geraten.
Freiheit lässt sich in der physikalischen Welt nicht finden. Empirisch ist sie nicht nachweisbar – weder im Kosmos der Teilchen noch in den neuronalen Bahnen unseres Gehirns. Dort herrscht ganz nüchtern das Prinzip von Ursache und Wirkung. Kein guter Ort für einen freien Willen.
Und das „Ich“? War schon immer eine vage Konstruktion. Spätestens seit Freud aber wissen wir, dass das Bewusstsein nicht Herr im eigenen Haus ist. Was wir „Ich“ nennen, ist nur ein kleiner, rationalisierender Teil eines weit größeren psychischen Apparats – getrieben, verdrängend und illusionär
Für Foucault ist das Ich eine Effektposition von Macht und Diskurs. Für Lacan ein Knoten im sprachlichen Spiegelkabinett – ein Ort, an dem Sprache zirkuliert. Für Nietzsche ein grammatisches Missverständnis.
Wer also sagt: Ich will frei sein, beruft sich auf zwei Konzepte, die ideengeschichtlich dramatisch erschüttert wurden – aber – wer hätte es gedacht – ein noch so munteres Weiterleben feiern. Vielleicht, weil sie so gut ins Selbstverständnis einer Gesellschaft passen, die sich selbst als liberal, aufgeklärt und selbstbestimmt versteht. Vielleicht aber auch, weil wir diese Illusion brauchen. Denn was bliebe, wenn das Ich nur ein Effekt ist und Freiheit eine Projektion?
Vielleicht ist das Ich gerade deshalb so wirksam, weil es leer ist. Weil es eine Projektionsfläche bietet für all das, was wir gerne wären – nämlich: frei, einzigartig, selbstbestimmt. Und vielleicht ist die Idee der Freiheit so attraktiv, weil sie nie eingelöst werden muss – sondern immer nur versprochen bleibt.
So laufen wir also weiter durch eine Welt, in der das Ich zur Marke wird und die Freiheit zur Wahloption. Beides simuliert Tiefe, wo doch schon lange das oberflächliche regiert.
In Wahrheit geht es auch gar nicht mehr um Freiheit, sondern um Verfügbarkeit.
Um ein Ich, das performt, auswählbar bleibt, optimierbar ist – und am besten noch, eines das „freiwillig“ mitmacht.
Damit ist die Illusion des freien Ichs zur produktivsten Form der Kontrolle geworden.
Weil ein Ich, das sich für frei hält, leichter steuerbar ist als eines, das seine Gebundenheit erkennt. Weil es bereitwillig optimiert, was es für sein eigenes Projekt hält – dabei aber längst die Parameter eines Systems erfüllt, das seine Bedürfnisse längst vorgedacht hat.
Weil Kontrolle heute nicht mehr von außen ausgeübt wird, sondern von innen.
Nicht durch Zwang, sondern durch das Versprechen: Sei du selbst. Mach was draus. Entscheide dich.
„Ich“ und „Freiheit“ sind also gar keine Wirklichkeiten? Sind sie nur Geschichten? Erzählungen, die uns ein Bild von uns selbst geben sollen? Nun, es ist wohl wahr: Rhetorik ist oft beliebter als Wahrheit.
Aber: Liegt am Ende die eigentliche Freiheit vielleicht darin, gerade nicht mehr frei sein zu müssen?
Und: Was wäre eigentlich gewonnen, wenn wir die Illusion aufgäben?
Externe Links:
Stanford Encyclopedia of Philosophy – Free Will
Stanford Encyclopedia of Philosophy – Jacques Lacan
www.scientificamerican.com : Free Will Is Only an Illusion if You Are, Too
Interne Links:
„Liebe Dich selbst.“ – Die Ideologie der Selbstfürsorge
„Du musst nur wollen“ – Der Mythos vom Willen in Zeiten der Erschöpfung
Das „Ich“ als Ort: Poststrukturalismus und das Ende des Subjekts
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One Comment
Toth Laszlo
Ich + Freiheit = Kind-sein.
Diese werden im laufe der Jahre in Netz gesperrt. Immer mehr angebunden. Gefesselt.
An Erwartungen.
An projizierte Hoffnungen.
Eventuell kann ich im Alter nahe an dieser Entität in mir kommen.
Wenn es noch da-ist.
So könnte ich wieder da-sein.
(Herrliche Inhalte in den Schriften. Anregend und aufregend. Genau richtig. Ich freue mich auf die nächsten)
Bester Dank!
Totysseus Vagabundis