Krypto Narrative
Philosophie

Krypto-Narrative und das Tal der Tränen

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Lesedauer 8 Minuten

Krypto-Narrative und das Tal der Tränen

Der Hype um Kryptowährungen hat weltweit eine ganze Szene von Anhängern, Investoren und Finfluencern hervorgebracht. Hinter der Faszination für Bitcoin, Ethereum und Co. verbirgt sich eine komplexe Welt aus Ideologien, wirtschaftlichen Interessen und emotional aufgeladenen Erzählungen. Betrachtet man die Szene, wird schnell ein Muster sichtbar: Clickbaiting, Crash-Prophetie und Falschinformationen mit Verschwörungscharakter sind hier an der Tagesordnung. Es wäre aber ungerecht, alle über einen Kamm zu scheren, denn es gibt auch einige wenige Finfluencer, die einen seriösen, sachlichen und guten Job machen und sich strikt auf das Trading und die Chartanalysen konzentrieren. Ich bin aber auch auf Kanäle mit Reichweiten jenseits von 100.000 Abonnenten gestoßen, auf denen Dinge erzählt werden, die nur schwer zu ertragen sind. Was hier als Wahrheit verkauft wird, hat mich offen gestanden schockiert.

Im folgenden geht es nicht um eine Kritik an der Kryptowährungs-Technologie selbst, denn diese ist zweifellos interessant und vielversprechend. Es geht vielmehr um die Dynamiken des Marktes, falsche Versprechungen, Narrative der Krypto-Szene und gezielte Falschbehauptungen, die in diesem Zusammenhang verbreitet werden.

Krypto-Narrative: Der Krypto-Markt ist für viele ein Tal der Tränen

Der Markt kennt keine Moral. Schon gar nicht der Krypto-Markt. Er ist der feuchte Traum liberaler Ideologien, denn eine Kryptowährung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie frei ist von staatlicher Kontrolle. Im Vordergrund des Krypto-Phänomens stehen ausschließlich Einzelinteressen. Viele, das haben meine Recherchen gezeigt, haben nicht einmal eine Ahnung, welche Technologien sich hinter den einzelnen Coins verbergen. Investiert wird nicht selten nach dem Prinzip Hoffnung – der Hoffnung auf schnelles Geld. Hier zeigt sich der Krypto-Markt als Verkörperung der liberalen Utopie – ein freier Markt mit freiem Geld. Für viele aber, endet dieser Traum im Tal der Tränen. Die Motivation unterscheidet sich oft nur geringfügig vom Glücksspiel. Es geht nicht um die Technologie, nicht um Blockchain-Innovationen oder die potenziellen gesellschaftlichen Veränderungen durch Dezentralisierung. Es geht um die Jagd nach schnellen Gewinnen.

Immer wenn der Bitcoin großes Aufsehen erregt, springen viele auf den Zug auf – getrieben von FOMO (Fear of Missing Out). Sie steigen genau dann ein, wenn der Hype seinen Höhepunkt erreicht hat. Sie kommen zu spät und kaufen zu Höchstkursen, kurz vor einer Korrekturphase. Sinkt der Kurs, verkauft man in Panik – aus Angst, noch mehr zu verlieren. Besonders bitter wird es, wenn Ersparnisse leichtfertig investiert wurden. Der Markt wird zudem von „Market-Makern“ und „Krypto-Walen“ manipuliert. „Stop-Loss“- und „Take-Profit-Orders“ werden gezielt liquidiert, um Liquidität abzugreifen. Für viele endet der Einstieg in den Kryptomarkt mit massiven Verlusten. Was sie sich eingekauft haben, ist eben nicht nur ein digitales Asset, sondern eine psychologische Herausforderung. Es ist der ständige Blick auf Kursbewegungen, das Gefühl, nie abschalten zu können, weil der Markt 24/7 geöffnet ist und jederzeit etwas „Wichtiges“ passieren kann.

Für nicht wenige wird der Krypto-Markt zu einer Art pathologischer Obsession. Der ständige Dopamin-Kick durch Kursgewinne (oder -verluste), das schier endlose Scrollen durch News, Analysen und Charts, erinnert an Spielsucht. Der Unterschied ist allerdings der, dass man im Casino weiß, dass man spielt. Im Kryptomarkt glaubt man, zu investieren. Am Ende bleibt für viele nur die bittere Erkenntnis: Der Markt ist gnadenlos. Er belohnt nicht die Hoffnung, sondern Wissen, Disziplin und Erfahrung. Für die meisten ist der Weg dorthin jedoch ein Tal der Tränen, aus dem sie nur schwer wieder herausfinden oder einfach rausgespült werden, wenn sie alles verloren haben.

Narrative der Krypto-Szene

Die Narrative der Krypto-Ideologen sind geprägt von einem fundamentalen Misstrauen gegenüber bestehenden Finanz- und Staatssystemen – was nicht selten dazu führt, dass sie sich von rechten Ideen angezogen fühlen. Es basiert auf der Überzeugung, dass die Welt von einem korrupten, zentral gesteuerten System dominiert wird, das die Menschen systematisch ausbeutet. Im Zentrum dieses Narrativs steht das Fiat-Geldsystem, das als ein Mechanismus der Unterdrückung dargestellt wird.

Nach der Vorstellung der Krypto-Ideologen ist das Fiat-Geldsystem deshalb inflationär, um den Wert des Geldes stetig auszuhöhlen und den Wohlstand der breiten Masse schleichend zu enteignen. Die Ursache dafür sehen sie in der angeblich unkontrollierten Geldschöpfung durch Zentralbanken, die „unaufhörlich Geld drucken“. Dieses neu geschaffene Geld, so das Narrativ, fließe vor allem in die Taschen der Reichen und Mächtigen, während der Durchschnittsbürger die Last der Inflation tragen müsse.

Krypto wird in diesem Weltbild als die ultimative Antwort auf diese Ungerechtigkeit gefeiert. Bitcoin und andere Kryptowährungen gelten nicht nur als technologische Innovationen, sondern als Symbole des Widerstands gegen das „korrupte Establishment“. Sie verkörpern die Vision einer Welt ohne Mittelsmänner, ohne Banken, ohne Staaten – eine Welt, in der der Einzelne wieder die volle Kontrolle über sein Vermögen hat. Diese Krypto-Narrative sind durchdrungen von einer fast messianischen Hoffnung: Kryptowährungen sind nicht einfach nur digitale Vermögenswerte, sie sind der Weg in eine bessere, freiere Zukunft. Die Blockchain-Technologie wird dabei zum Heilsbringer stilisiert, der Transparenz, Sicherheit und Unabhängigkeit garantiert. Vertrauen in Institutionen wird durch Vertrauen in den Code ersetzt.

Zentral für dieses Weltbild ist auch der Glaube an den freien Markt als ultimativen Regulator. Der Markt wird als natürliche Ordnung betrachtet, die ohne staatliche Eingriffe am besten funktioniert. In dieser Vorstellung ist jede staatliche Regulierung ein Akt der Unterdrückung, jede Zentralbank ein Instrument der Ausbeutung. An der Spitze dieses Narrativs steht für viele die Vorstellung, dass Kryptowährungen eines Tages die Fiat-Währungen ersetzen könnten.

Doch dieses Weltbild ist nicht nur von ökonomischen Ideen geprägt, sondern vor allem von einer starken emotionalen Komponente: Wut auf das System und der Sehnsucht nach Autonomie und Unabhängigkeit. Es ist ein Narrativ, das einfache Antworten auf komplexe Fragen liefert – und gerade deshalb so verführerisch wirkt. Das große Problem ist aber, dass die Communities oft Filterblasen und Echokammern sind, in denen diese Vorstellungen ständig wiederholt und weiter zugespitzt werden – abweichende Meinungen finden hier kein Gehör, wodurch sich die Narrative weiter verfestigen.

Schauen wir uns also einmal an, was von den Krypto-Narrativen zu halten ist.

Krypto-Narrative: Versuch einer Klarstellung

Es ist richtig, dass das Fiat-Geldsystem inflationär ist. Das ist gewollt, denn die Zielinflation der Europäischen Zentralbank beträgt 2 % bezogen auf den jeweiligen Vorjahreswert. Der Grund liegt in der makroökonomischen Idee der Zeitpräferenz des Geldes: Geld ist heute immer mehr wert als in der Zukunft. Die dahinterliegende Idee ist, dass Konsumenten und Investoren Geld besser heute investieren als morgen, damit das Wirtschaftssystem am Laufen bleibt.

Ein weiterer wichtiger Grund für die Zielinflation ist die Vermeidung von Deflation. Deflation würde dazu führen, dass Schulden im Wert steigen, was die reale Schuldenlast für private Haushalte, Unternehmen und Staaten erhöht. Dies könnte Investitionen und Konsum stark bremsen. Zusätzlich neigen Verbraucher in deflationären Phasen dazu, Ausgaben aufzuschieben, da sie erwarten, dass Preise weiter sinken. Dies führt zu einem Rückgang der Nachfrage, was Unternehmen zu Entlassungen zwingt und die Arbeitslosigkeit steigen lässt. Im schlimmsten Fall kann dies eine Deflationsspirale auslösen: sinkende Preise, geringere Gewinne, mehr Arbeitslosigkeit und weiter sinkende Nachfrage – ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist. Im Gegenzug sorgt die Inflation dafür, dass Schulden in Zukunft an Wert verlieren, was die reale Schuldenlast für Schuldner verringert. Dies begünstigt Investitionen, da Kreditaufnahmen attraktiver werden, wenn die Rückzahlung in entwertetem Geld erfolgt. Gleichzeitig fördert moderate Inflation den Konsum, weil Geld im Laufe der Zeit an Kaufkraft verliert und es sich daher lohnt, Ausgaben nicht aufzuschieben. Auf diese Weise stabilisiert Inflation das Wirtschaftssystem, indem sie sowohl den Geldkreislauf als auch die Investitionsbereitschaft in Gang hält.

Ein zentraler Aspekt in diesem Zusammenhang ist das Verhältnis von Sparen und Konsum. Die Aussage „Jeder kann sparen, aber nicht alle“ bringt das Problem auf den Punkt: Sparen ist für den Einzelnen sinnvoll, um Vermögen aufzubauen, doch wenn eine gesamte Volkswirtschaft in den Sparmodus schaltet, kollabiert der Konsum. Unternehmen setzen keine Produkte mehr ab, Arbeitsplätze gehen verloren, Investitionen bleiben aus, und damit schwindet auch der kapitalistische Wohlstand. Inflation wirkt hier als Korrektiv, indem sie den Anreiz zum ständigen Aufschieben von Ausgaben verringert und den Wirtschaftskreislauf am Laufen hält. Übrigens – das sollte jeder bedenken: Das Verhältnis von „jeder“ und „alle“ gilt auch für den Kryptomarkt. Jeder kann gewinnen, aber eben nicht alle.

Ein weiterer wichtiger Hintergrund für diese Systematik ist die inhärente Steigerungslogik des Wirtschaftssystems. Alles muss ständig wachsen. Der bekannte Ausspruch „Stillstand ist Rückschritt“ ist im kapitalistischen System fundamental. Wirtschaftswachstum, Geldmengen, Schulden, Investitionen – all diese Kennzahlen erreichen im Zeitverlauf regelmäßig neue Rekordwerte. So sind auch die Steuereinnahmen des Staates kontinuierlich auf Rekordniveau. Es steigen die Preise, die Produktivität, die Wertschöpfung. Tun sie das nicht, ist das ein Anzeichen für ein schwerwiegendes Problem. Wachstum ist schlichtweg systemimmanent.

Interessant sind auch die Geldtheorien, die in der Kryptoszene postuliert werden. Oft hört man die Behauptung, dass die Zentralbanken ständig die Geldmengen ausweiten und dass diese Ausweitung zwangsläufig zur Inflation führen würde. Diese Annahme impliziert, dass Geld sich wie ein normales Gut – ein Produkt oder eine Dienstleistung – verhält und den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage unterliegt. Diese Annahme ist jedoch empirisch nicht haltbar. Japan ist hier zurecht viel zitiertes Beispiel. Die Ausweitung der Geldmenge ist zunächst eieineutraler Vorgang und führt nicht automatisch zu Inflation, denn Geld ist kein Gut, es ist ein Abstraktum.

Der Monetarismus, wesentlich geprägt von Milton Friedman, sieht die Kontrolle der Geldmenge als entscheidenden Faktor zur Inflationssteuerung. Die Formel „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen“ wurde zum Mantra vieler wirtschaftsliberaler Denkansätze und findet in der Kryptoszene Anklang. Diese vereinfachte Sichtweise ignoriert aber, dass Inflation vor allem durch die Knappheit realer Güter und eine Überhitzung des Marktes aufgrund hoher Nachfrage entsteht. Ob die Geldmenge hoch ist, spielt eine untergeordnete Rolle, wenn das Geld ungenutzt bleibt oder im Kapitalmarkt zirkuliert. Erst wenn hohe Nachfrage auf begrenztes Angebot trifft, steigen die Preise. Der Monetarismus blendet diese Dynamiken aus und reduziert Inflation fälschlich auf ein rein monetäres Phänomen. Übrigens wird auch niemand, der Produkte verkauft, im Zuge seiner Preisfindung zuerst die Geldmenge prüfen. Preise entstehen aus komplexen Wechselwirkungen von Angebot, Nachfrage, Produktionskosten und Markterwartungen. Das andere Problem dieses Narrativs ist die Vorstellung, die Zentralbank „drucke“ unaufhörlich Geld. Der wesentliche Teil der Geldschöpfung aber, ist ein dezentraler Vorgang – die Geldschöpfung der Geschäftsbanken im Zuge der Kreditvergabe. Dieses von den Geschäftsbanken erzeugte Geld, nennt man Giralgeld.

Wenn Sie also zu einer Bank gehen und einen Immobilienkredit aufnehmen, erzeugt die Geschäftsbank dieses Geld auf Knopfdruck – wenn Sie kreditwürdig sind. Die Bank verlängert durch die Giralgeldschöpfung ihre Bilanz. Auf der Aktivseite entsteht eine Forderung aus dem Kreditvertrag, auf der Passivseite eine Verbindlichkeit. Beide Positionen verringern sich mit der Rückzahlung des Kredits, bis sie schließlich vollständig getilgt sind. Wie die Finanzierung von Immobilien etwa in einem künstlich verknappten deflationären Bitcoin-Geldsystem funktionieren soll, ist dabei auch fraglich, vor allem, wenn die Schuldenstände aufgrund der deflationären Neigung regelmäßig steigen. 

Eines noch! Es wird oft gesagt, dass der Wert einer Währung davon abhängt, dass alle an ihn glauben. Nur dadurch ist sie morgen auch noch etwas wert. Doch diesem Glauben wird leicht auf die Sprünge geholfen. Unabhängig davon, was jemand glaubt, erhebt der Staat Steuern – und diese möchte er in der jeweiligen Landeswährung haben. Egal ob Verkehrssteuern wie die Umsatzsteuer oder Ertragssteuern. Alle Steuern sind in der jeweiligen Währung zu bezahlen. So kommt es nicht darauf an, wer an eine Währung glaubt oder nicht – er wird von der harten Realität der Steuergesetzgebung recht schnell eingeholt.

Es gibt vieles, was man an der kapitalistischen Logik kritisieren kann und soll, aber ein kapitalistisches System einfach gegen ein anderes zu tauschen, löst keine der grundlegenden Probleme – es verschiebt sie nur an einen anderen Ort.

Abschließendes und eigene Meinung

Kryptowährungen sind ein faszinierendes Phänomen unserer Zeit – eine Mischung aus technologischem Fortschritt, wirtschaftlicher Spekulation und ideologischer Projektion. Sie verkörpern Hoffnungen auf finanzielle Unabhängigkeit und die Illusion eines vollkommen freien Marktes. Doch hinter dem Versprechen von Dezentralisierung und Autonomie verbirgt sich oft nur ein knallhartes Spiel mit der Gier, den Ängsten und den Sehnsüchten der Menschen.

Der Kryptomarkt zeigt uns nicht nur die Dynamik digitaler Vermögenswerte, sondern auch die Anfälligkeit von Menschen für einfache Erklärungen in einer komplexen Welt. Der Glaube, dass Bitcoin und Co. die Antwort auf alle wirtschaftlichen Probleme seien, ist ein modernes Märchen, das die Realität ausblendet. Kein System ist frei von Machtstrukturen, Manipulation oder menschlicher Fehlbarkeit – auch nicht der Kryptomarkt.

Am Ende bleibt festzuhalten: Krypto ist entgegen der Narrative weder Heilmittel gegen das „böse Fiat-System“ noch der Untergang der traditionellen Finanzwelt. Es ist ein Spiegel unserer Zeit, in dem sich unsere Hoffnungen, Ängste und Widersprüche kristallisieren. Der Kryptomarkt ist ein Haifischbecken – denn er ist kalt, gnadenlos und ohne jede Rücksichtnahme. Moral spielt hier keine Rolle, nur der Profit zählt. Für viele endet der Traum von schnellem Reichtum nicht mit Freiheit, sondern im Tal der Tränen. Wer den Markt aber versteht, erkennt: Nicht der Code ist das Problem – es sind die Narrative, die wir darum spinnen.

Dabei sollte man jedoch nicht übersehen, dass die Technologie hinter Kryptowährungen, insbesondere die Blockchain, großes Potenzial für die Zukunft birgt. Ihre Fähigkeit, transparente, fälschungssichere und dezentrale Systeme zu ermöglichen, könnte in vielen Bereichen – von Lieferketten über Abstimmungssysteme bis hin zu dezentralen Finanzanwendungen – transformative Auswirkungen haben. Es geht nicht darum, Krypto generell zu verteufeln, sondern darum, den Hype von der tatsächlichen Innovation zu trennen und den Blick für die realen Chancen jenseits von Spekulation und Marktmanipulation zu schärfen.



Externe Links:

Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur Modern Monetary Theory

Fraunhofer-Institut: BLOCKCHAIN: GRUNDLAGEN, ANWENDUNGEN UND POTENZIALE

Frankfurt University of Applied Sciences: Studie zu Kryptowährungen und der Blockchain-Technologie

Interne Links:

Ist die Ökonomie als Wissenschaft in einem guten Zustand?

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