„Liebe Dich selbst“- Die Ideologie der Selbstfürsorge
„Liebe Dich selbst.“ – Die Ideologie der Selbstfürsorge
„Liebe dich selbst“ – das klingt erst mal gut. Nach Wärme. Nach einem kleinen Lebensmantra aus einem Glückskeks oder einem Instagram-Post mit Sonnenuntergang im Hintergrund. Aber je öfter man diesen Satz hört, desto mehr beißt er. Denn hinter dieser weichen Verpackung steckt ein harter Kern.
„Du kannst nur andere lieben, wenn du dich selbst liebst.“ Klingt im ersten Moment nach eine Weisheit – ist aber ein Satz, der ganz im Dienste einer Ideologie steht: der Selbstoptimierung. Was als freundlicher Ratschlag daherkommt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Zumutung. Denn er verschiebt Schmerz, Erschöpfung, Einsamkeit oder Erfolg und Scheitern ins Innere – als läge das Problem nicht in der Welt, sondern in uns selbst. Als müssten wir uns nur mehr lieben, um wieder zu funktionieren.
Diese Art von Selbstliebe wird uns verkauft – zwischen Achtsamkeitstees, Glow-Up-Routinen und Coaching-Abos. Sie ist keine Rebellion gegen Leistungsdruck, sondern eine Bewegung in die Tiefe einer Ordnung. Der Imperativ „Liebe dich selbst“ ist kein Befreiungsschlag. Er ist die Botschaft einer Zeit, in der alles zur Ware geworden ist – auch das Selbst. Denn wer sich selbst liebt, der optimiert sich. Kauft sich was Gutes. Die Selfcare-Industrie boomt. „Liebe Dich selbst“ ist keine Befreiung – es ist die freundliche Verpackung einer Konsumlogik, die aus Selbstfürsorge Selbstvermarktung macht.
Vom Gebot zur Technik: Eine kurze Geschichte der Selbstliebe
Der Gedanke, sich selbst zu lieben, ist nicht neu. Schon in der christlichen Tradition taucht er auf – allerdings anders. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ heißt es im Neuen Testament. Gemeint ist natürlich nicht die Liebe als Eros, sondern als Agape oder Caritas – die Nächstenliebe. Die Selbstliebe ist hier aber kein Zweck, sondern ein Mittel: Wer sich selbst als von Gott angenommen versteht, kann auch den anderen annehmen. Der Zweck ist hier aber Nächstenliebe – nicht Selbstverwirklichung.
In der Moderne verschiebt sich dieses Verhältnis. Mit der Aufklärung entsteht ein neues Selbstbild: Der Mensch als autonomes, vernunftbegabtes Subjekt. Im 20. Jahrhundert dann, rücken Psychologie und Psychoanalyse die Innenwelt ins Zentrum. Die Frage ist nicht mehr: Was ist der Mensch? Sondern: Wer bin ich – und wie werde ich ich selbst?
In den 1970er-Jahren wird Selbstliebe zur Gegenbewegung – gegen Autorität, Scham und Anpassung an ein repressives System. Love yourself bedeutet in etwa soviel wie: Du bist wertvoll – auch ohne Leistung und ohne Anpassung. Es ist die Zeit von Feminismus, Antipsychiatrie, Selbsthilfegruppen. Selbstannahme wird von nun an politisch.
Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus wendet sich das Blatt nochmal. Was als Befreiung gedacht war, wird zur Technik – zur Methode der Selbstverbesserung und zur Voraussetzung von Erfolg. Die Frage ist nicht mehr, wie ich mich selbst annehme – sondern, wie ich durch Selbstliebe besser funktioniere.
Selbstliebe und die neoliberale Umdeutung
Im neoliberalen Zeitalter ist aus dem emanzipatorisch-politischen Ruf nach Selbstannahme ein stilles Muss geworden. „Liebe Dich selbst“ – klingt freundlich, meint aber: Sei funktionsfähig.
Wer sich nicht liebt, gilt als defizitär. Ein Mangel, der gleich alles betrifft: Beziehungen, Arbeit, Gesundheit oder Glück. Mehr noch: Wer sich nicht liebt, ist selbst schuld.
Was einmal Selbstrespekt war, ist heute die Bedingung für Resilienz, Anpassung und Produktivität. Wer scheitert, scheitert nicht an Umständen – sondern am eigenen Mindset. Sätze wie „Du kannst nur andere lieben, wenn Du Dich selbst liebst“ oder „Wie Du mit Dir umgehst, bestimmt Deinen Erfolg“ zeigen, wie sehr das Soziale psychologisiert wurde.
Nicht das System ist dysfunktional – sondern das Ich, Es soll sich lieben, optimieren, neu erfinden. In dieser Logik liegt aber eine stille Grausamkeit: Wer unter Druck steht, soll sich entspannen. Wer erschöpft ist, soll achtsam sein. Wer ausgebeutet wird, soll sich selbst wertschätzen. Sie verkehrt letztlich Schmerz in Schuld und Erschöpfung in persönliches Versagen. Man nennt es Selbstfürsorge, wenn der Einzelne sich selbst wieder flottmachen muss – für ein System, das ihn zermürbt. Die Zumutungen bleiben – nur tragen sie jetzt ein freundliches Lächeln.
Liebe Dich selbst: Die Ökonomie des Selbst
Unter dem Banner der Selfcare boomt eine ganze Industrie: Bücher, Coachings, Podcasts, Retreats und Wellness, Achtsamkeits-Apps, Journaling Kits und Apps oder Skin-Care-Routinen oder ganz banales wie besagte Wohlfühltees. Man soll sich lieben – aber bitte mit den richtigen Produkten. Sich kümmern heißt heute: investieren. Und zwar in sich selbst.
Denn wer sich liebt, zeigt das auch: auf Instagram etwa, im „Ich bin es mir wert“-Gestus der – in der Sprache des Erfolgs. Die Botschaft: Wer sich liebt, bleibt dran. Und wer an sich arbeitet, ist nicht nur resilient – sondern auch verwertbar. Das Ich wird zur Ressource. Planbar und steuerbar. Du sollst Dich nicht einfach gut fühlen. Du sollst Dich lohnen. Denn:
Ich liebe mich – also investiere ich!
Ich liebe mich – also optimiere ich!
Ich liebe mich – also funktioniere ich!
So wird Liebe zur Leistung. Und das Ich zur Marke. Zur Personal Brand, die gepflegt und kommuniziert werden muss. Was früher Selbstannahme hieß, heißt heute Selbstvermarktung. Was einmal innerer Weg war, ist zur unternehmerischen Aufgabe geworden und wird fleißig zur Schau gestellt.
Die Kehrseite: Schuld, Scham, Erschöpfung
In einer Kultur, in der Selbstliebe zur Norm geworden ist, wird ihr Fehlen zum Makel. Wer sich nicht liebt, passt nicht ins Bild – wirkt unvollständig, therapiebedürftig. Selbstzweifel gelten nicht mehr als Lebensphasen, sondern als Störung.
Die Folge ist ein doppelter Druck: Der Zwang zur Selbstliebe – und die Scham, daran zu scheitern. Viele Menschen sind nicht „unfähig“ oder „nicht resilient“ – sie sind einfach erschöpft. Müde vom Optimierungsdruck. Müde vom ewigen „Sei gut zu dir“, das längst zu „Mach was aus dir“ geworden ist. Diese Rhetorik der Selbstliebe verschleiert aber, was sie erzeugt: Einsamkeit, Vergleich, Überforderung. Und sie schließt gerade jene aus, die sie angeblich stärken will: die Zweifelnden, die Gebrochenen, die Widersprüchlichen.
Philosophische Perspektive: Kritik an der positiven Affirmation
Die Forderung nach Selbstliebe wirkt harmlos – oder besser – heilsam. Philosophisch betrachtet ist sie Teil einer Machtstruktur – einem unsichtbaren Netz von Erwartungen, Regeln und Normen, das unser Denken und Handeln prägt. Der französische Poststrukturalist Michel Foucault argumentiert: Moderne Subjekte werden nicht mehr von außen gezwungen, sondern von innen diszipliniert. Nicht das Gefängnis zähmt uns – sondern der Spiegel. Nicht der König herrscht – das Ich tyrannisiert sich selbst von innen.
Der Satz „Liebe Dich selbst“ ist eine Machttechnik. Nur wirkt er nicht repressiv, sondern affirmativ – und ist gerade deshalb so wirksam. Denn er fordert keine Unterwerfung, sondern Identifikation mit dem glücklichen, autonomen, optimierten Selbst. Macht operiert heute nicht mehr durch Verbote, sondern durch Selbstverwirklichung. Das Subjekt gehorcht, weil es glaubt, es wolle es selbst.
Byung-Chul Han nennt genau das Psychopolitik: Eine Herrschaft, die sich im Inneren fortsetzt – durch Selbstkontrolle, Selbstoptimierung, Selbstbeobachtung. Der neoliberale Mensch rebelliert nicht – er managt sich. Und wenn er scheitert, scheitert er an sich.
Auch Adorno warnt vor diesem Zwang zur Positivität. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Wer sich im kranken System einrichtet, verliert den Blick für dessen Krankheit. Achtsamkeit, Akzeptanz, Affirmation werden am Ende zur Betäubung.
„Liebe Dich selbst“: Abschließendes
„Liebe dich selbst“ klingt nach Heilung, ist aber der weichgespülte Imperativ, sich selbst zu verwalten. Was wie Fürsorge wirkt, ist am Ende bloß Funktionserhalt.
Wirkliche Selbstannahme entsteht nicht durch Mantras, sondern durch ein Umfeld, in dem niemand sich ständig beweisen muss, um wertvoll zu sein. Ein Umfeld, das nicht fragt: Wie liebst du dich selbst?, sondern: Wer ist für dich da, wenn du es nicht kannst?
Wahre Liebe beginnt dort, wo das Ich aufhört, sich ständig zu optimieren – und einfach sein darf.
Externe Links und Literatur:
Nordmann, J. (2017) Das neoliberale Selbst: Zur Genese und Kritik neuer Subjektkonstruktionen. ICAE Working Paper Series No. 22. Linz: Johannes Kepler Universität Linz. Verfügbar unter: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/171398/1/icae-wp22.pdf (abgerufen am: 1. Juli 2025).
Wikipedia: Selbstliebe
Interne Links:
„Du musst nur wollen“ – Der Mythos vom Willen in Zeiten der Erschöpfung
Ich will frei sein – sagt das Ich.
Das „Ich“ als Ort: Poststrukturalismus und das Ende des Subjekts
Entdecke mehr von Finger im Dasein
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.


