Oekonomie und Macht
Ökonomie,  Politische Philosophie

Ökonomie und Macht – oder wie Theorien die Welt formen

Lesedauer 4 Minuten

Ökonomie und Macht – oder wie Theorien die Welt formen

In den Naturwissenschaften bleibt Erkenntnis meist ein offener Prozess. Auch wenn dort Interessen und Ideologien nie ganz fehlen, geht es im Kern um Fragen, die selten unmittelbare gesellschaftliche Relevanz haben. Ob das Quantenfeld existiert oder dunkle Materie sich anders verhält als erwartet – solche Fragen lösen keine gesellschaftlichen Konflikte aus. Sie berühren das Leben der meisten Menschen kaum. Hypothesen werden aufgestellt, geprüft und widerlegt, ohne dass daraus politische Schlachten entstehen.

In der Ökonomie ist das anders. Ökonomische Modelle, Empfehlungen und Narrative greifen tief in die Gesellschaft ein. Sie prägen Gesetze, steuern Märkte und beeinflussen politische Entscheidungen. Neutralität bleibt hier eine Illusion. Ökonomen sind nicht nur Wissenschaftler, sie sind immer auch politische Akteure. Sie gehen wählen, tragen Werte und Überzeugungen in sich. Diese verschwinden nicht an der Schwelle zum Hörsaal oder Fernsehstudio – und schon gar nicht in den Instituten, für die sie arbeiten. Solche Einrichtungen sind selten neutrale Forschungsstätten. Oft sind sie arbeitgebernah, wirtschaftsliberal oder progressiv – abhängig davon, wer sie finanziert und welchen Netzwerken sie verpflichtet sind. Diese institutionellen Rahmenbedingungen bestimmen, welche Fragen gestellt werden dürfen, welche Modelle entstehen, welche Politik als vernünftig gilt und welche Zukunft überhaupt vorstellbar ist. Mit dem Anschein wissenschaftlicher Neutralität prägen sie den öffentlichen Diskurs maßgeblich.

Schon die Frage, ob und wie Märkte reguliert werden sollten, ist ein politischer Akt und damit ein Einstieg in den Kampf der Interessen und Ideologien. Ökonomie ist kein rein beschreibendes Werkzeug. Sie ist ein Machtfaktor. Ihre Theorien legen fest, was als vernünftig gilt und was nicht. Wer die Deutungshoheit hat, bestimmt die Agenda – und damit nicht nur, welche politischen Maßnahmen möglich erscheinen, sondern auch, welche Denkweisen als legitim gelten. Was sich nicht in die Modelle fügt, wird an den Rand gedrängt, als utopisch belächelt, als gefährlich diffamiert oder als „unrealistisch“ aus dem Diskurs ausgeschlossen. So verengt sich der Horizont des Möglichen, bis Alternativen kaum noch denkbar sind.

Ökonomie als Instrument der Macht

Seit dem 18. Jahrhundert erhebt die Ökonomie den Anspruch, die Gesellschaft wissenschaftlich zu erklären – ein Anspruch, der täuscht. Denn sie beschreibt nicht nur, sie schreibt vor. Die „unsichtbare Hand“, von der Adam Smith sprach, ist nicht bloß Metapher, sie ist ein Programm: der Markt als ordnendes Prinzip, das alles andere verdrängt.

So wurde die Ökonomie zur politischen Leitwissenschaft. Ihr Anspruch: zu wissen, was rational, effizient und notwendig – und damit auch, was richtig sei. Damit zieht sie die Grenzen dessen, was gedacht, gesagt und getan werden kann. Dieser Rahmen ist aber nie neutral. Er besteht aus Narrativen, die tief in Gesellschaft und Lebenswelt eingesickert sind: die Erzählung vom Markt als natürlichem Ordnungsprinzip, vom Menschen als Nutzenmaximierer, vom Wettbewerb als Triebkraft allen Fortschritts. Sie formen, wie wir über Arbeit, Erfolg und Scheitern sprechen – und wie wir uns selbst begreifen.

Auch die Gegenentwürfe sind nicht frei von solchen Setzungen. Die Vorstellung eines allmächtigen Staates, der durch Investitionen Wachstum und Gerechtigkeit schafft, oder einer Wirtschaft, die nur durch Umverteilung und Schuldenaufnahme stabil bleibt.

Wer die Schuldenbremse verteidigt, beruft sich auf ökonomische Modelle. Wer ihre Abschaffung fordert, ebenso. Beide Seiten stützen sich auf Theorien, die nicht frei von Weltanschauungen sind. Die Ökonomie präsentiert ihre Setzungen jedoch gerne als Sachzwänge – als wären es Naturgesetze. Dabei sind sie immer Ausdruck von Interessen, Ideologien und Menschenbildern, die letztlich auch nur unzureichend und idealisierend sind.

Die eigentliche Macht der Ökonomie liegt nicht in Zahlen, sondern im Horizont den sie erzeugt und vor dem wir alle täglich denken und handeln. Wachstum, Effizienz, Wettbewerb – diese Prinzipien sind keine Naturgesetze. Es sind Setzungen, die kaum noch hinterfragt werden. Alles, was wir tun – von politischen Entscheidungen bis zu persönlichen Zielen – folgt dieser Logik.

Modelle, die Realität formen

Ökonomische Modelle sind keine neutralen Werkzeuge. Sie sind Erzählungen, die die Welt nicht nur beschreiben, sondern formen. Der Homo Oeconomicus – dieser kühle, eigennützige Rationalist – wirkt heute wie ein überholtes Konstrukt, das im besten Fall noch einen didaktischen Nutzen hat. Aber auch die neuen Modelle bleiben normativ. Die Verhaltensökonomie etwa ersetzt die alte Rationalitätsannahme durch ein Menschenbild, das ihn als steuerbar begreift: nicht länger ein frei entscheidender Akteur, sondern ein Wesen, das mit den richtigen Anreizen in die gewünschte Richtung gelenkt werden kann.

Die Ökonomie beschreibt die Welt nicht einfach – sie bestimmt die Kategorien, in denen wir sie wahrnehmen. Sie legt fest, was als rational gilt, was als Abweichung erscheint und welche Verhaltensweisen überhaupt sichtbar werden. Ihre Narrative und Modelle wirken wie Raster, die sich über die Wirklichkeit legen, bis nur noch das erkennbar bleibt, was in ihre Logik passt.

Epistemische Krise oder Entlarvung?

Heute heißt es oft, die Ökonomie stecke in einer Krise. Ihre Modelle hätten in der Finanzkrise, angesichts wachsender Ungleichheit oder der Klimakatastrophe versagt. Vielleicht aber ist es gar keine Krise – sondern der Moment, in dem sichtbar wird, was sie vielleicht immer war.

Ökonomie hat nie nur beschrieben, sie hat gestaltet. Ihre Prognosen waren selten zuverlässig. Nicht, weil die Welt zu komplex ist. Sondern weil diese Modelle Interessen bedienen. Sie sind keine neutralen Werkzeuge der Erkenntnis. Sie sind politische Instrumente. Wer der Ökonomie die Maske der Neutralität abnimmt, erkennt: Es ging nie darum, die Welt zu verstehen. Es ging immer darum, sie zu regieren.




Entdecke mehr von Finger im Dasein

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Entdecke mehr von Finger im Dasein

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen