
Politik: Weniger Ethos, weniger Logos dafür jede Menge Pathos und Performativität
Politik: Weniger Ethos, weniger Logos dafür jede Menge Pathos und Performativität
Aristoteles Rhetorik: Ethos, Pathos, Logos
Aristoteles beschreibt in seiner Rhetorik drei zentrale Mittel der Überzeugung: Ethos, Pathos und Logos. Diese drei Elemente sollten idealerweise in einer ausgewogenen Balance stehen, um eine überzeugende Rede zu formen. Dabei bezieht sich Ethos auf die Glaubwürdigkeit, den Charakter und die Expertise des Redners. Ein Politiker, dem moralische Integrität, Fachwissen und Verantwortungsbewusstsein zugeschrieben werden, gewinnt Vertrauen und er kann seine Argumente effektiver vermitteln. Pathos beschreibt die emotionale Ansprache an das Publikum. Eine Rede, die Gefühle wie Angst, Hoffnung oder Empörung hervorruft, entfaltet eine starke Wirkung – unabhängig davon, ob sie inhaltlich fundiert ist. Logos steht für die rationale Argumentation und Nachvollziehbarkeit. Eine Rede, die sich auf Fakten, Logik und stringente Beweisführungen stützt, spricht die Vernunft an und zielt darauf ab, den Zuhörer durch schlüssige Argumente zu überzeugen.
Aristoteles betonte aber auch, dass der übermäßige Einsatz von Pathos ohne eine solide Basis in Logos gefährlich sein kann. Emotionen können manipulativ sein und den rationalen Diskurs überlagern.
Politik: Gesinnungswandel und jede Menge Pathos
Politiker sind längst nicht mehr nur die stocksteifen Funktionsträger, sondern öffentliche Persönlichkeiten. Ihre Präsenz ist gefragt und Sichtbarkeit ist ohnehin eine neue Währung. Während frühere Generationen von Politikern nur gelegentlich in den Medien auftraten, gibt es heute kaum noch eine Stunde, in der sie nicht performen. Ganz gleich ob in Talkshows, Interviews, Parteiveranstaltungen, Bundestagsdebatten, TikTok- und Instagram-Videos, Tweets auf X oder im Gespräch über ganz nebensächliches in Podcasts – Politik ist ein 24/7- Spektakel geworden.
Authentizität wird nicht selten zur Inszenierung. Der moderne Politiker muss nicht nur seine Botschaften vermitteln, sondern sich als Mensch erlebbar machen. Bürgernähe ist kein abstraktes Versprechen mehr, sondern ein ästhetisches Prinzip der politischen Kommunikation. Ob in Hoodies beim Bürgerdialog, im heimischen Wohnzimmer bei Livestreams mit der Bücherwand im Rücken oder bei der Lebkuchen-Präsentation zur Adventszeit – Politik inszeniert sich als allgegenwärtig und nahbar. Selbst das Privatleben wird strategisch in Szene gesetzt: der Politiker als Familienvater, Hundebesitzer oder einfach als Mensch von nebenan, mit Sorgen und Schwächen.

Die permanente Öffentlichkeit verändert nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch den Inhalt der Politik. Wer immer sichtbar ist, muss immer wirken. Die kurzen Aufmerksamkeitsfenster sozialer Medien bevorzugen kurze, zugespitzte Botschaften, klare Feindbilder und emotionale Reize. Eine tiefgehende politische Argumentation braucht Zeit – Zeit aber, hat in diesem schnelllebigen Spektakel niemand mehr. Logos, die sachliche und analytische Auseinandersetzung mit Themen, verliert an Bedeutung – verdrängt von Pathos, das schneller berührt und stärker mobilisiert. Je emotionaler eine Botschaft ist, desto besser wird sie gehört. Angst, Wut, Hoffnung, Empörung sind die Gefühle, die in der modernen politischen Kommunikation dominieren.
Auch das Ethos leidet schwer. Glaubwürdigkeit ist in einer Welt permanenter medialer Aufmerksamkeit nicht mehr ein langfristig aufgebautes Kapital, sondern ein schnelllebiges Spiel mit Bildern. Es geht weniger darum, ob ein Politiker tatsächlich integer ist, sondern ob er die richtigen Gesten oder Symbole zeigt, ob seine Inszenierung stimmig wirkt, ob sie ansprechend ist oder ganze Weltbilder bestätigt. Vertrauen basiert nicht mehr auf Charakter und Substanz, sondern auf Momentaufnahmen. Ein gut inszenierter Auftritt vermag das Image aufzupolieren, eine unbedachte Äußerung jahrelange Glaubwürdigkeit zerstören. Politik wird damit zur Bühne – und wie in jedem Theaterstück zählt die Wirkung, nicht die Wahrheit.
Die Konsequenz dieses Wandels ist, dass die performative Dimension der Politik das eigentliche politische Handeln überlagert. Es geht nicht mehr primär darum, politische Lösungen zu erarbeiten, sondern darum, Lösungen überzeugend zu verkaufen und manchmal auch nur um das Gefühl zu erzeugen, dass überhaupt etwas geschieht. Eine emotionale Rede erreicht mehr als eine durchdachte Analyse. Das politische Geschäft hat sich radikal verändert: Weniger Ethos, weniger Logos – dafür mehr Pathos und Performativität.
Die Donald Trump Show
Er ist der größte Performer von allen. Donald Trump ist ein Meister der Inszenierung. Als er bei einer Wahlkampfveranstaltung von einer Kugel gestreift wurde und von der Bühne gebracht wurde, riss er den rechten Arm in die Höhe und blickte mit eiserner Miene ins Publikum. Es war der perfekte Moment für eine Heldenerzählung – ein Bild, das um die Welt ging. Trumps Ethos ist fragwürdig, aber das spielt längst keine Rolle mehr. In der heutigen politischen Realität zählt nicht mehr, was jemand ist, sondern wie er wirkt.
Trump zeigt, wie Politik heute funktioniert. Nicht Argumente oder moralische Integrität bestimmen den Erfolg, sondern die Fähigkeit, Bilder zu schaffen, die sich ins kollektive Gedächtnis brennen. Er ist weniger Politiker als Figur, weniger Staatsmann als Marke. Seine Reden sind keine politischen Programme, sondern Inszenierungen einer Bewegung, die auf Pathos und Wiederholung setzt. Fakten? Nebensache – entscheidend ist die Wirkung.
Trump verkörpert die moderne politische Performance in ihrer reinsten Form. Seine Sprache ist simpel, seine Gesten groß, seine Botschaften klar. Er setzt auf Übertreibung, emotionale Zuspitzung und das ständige Schaffen von Feindbildern. Neue Sprachräume werden geschaffen, das unsagbare wird sagbar. Grenzen werden verschoben. Logische Argumentation braucht er nicht – Pathos ist seine Waffe: Empörung, Begeisterung, Kampfgeist. Bemerkenswert ist, dass selbst Widersprüche seine Wirkung nicht schwächen – im Gegenteil, sie stärken sein Narrativ als „Unbeugsamer“ gegen das Establishment.
Das neue Paradigma: Politik als Theater
Trump ist kein Einzelfall. Er ist nur das sichtbarste Symbol eines politischen Wandels. Auch in Europa, in Deutschland, in fast allen modernen Demokratien lassen sich ähnliche Mechanismen beobachten. Politiker sind gezwungen, in einer medialen Landschaft zu überleben, die auf Instant-Wirkung und Aufmerksamkeit basiert. Manche tun sich damit schwer, manche machen es zu ihrem Programm. Die Mechanismen sind überall die gleichen: Je pointierter, emotionaler, polarisierender eine Aussage ist, desto höher ist die mediale Reichweite. Wer sachlich argumentiert, riskiert in der Belanglosigkeit unterzugehen. Wer provoziert, zuspitzt, wer vereinfacht und starke Bilder erzeugt, bleibt im Gedächtnis.
Diese Entwicklung führt zu einer Politik, die immer weniger mit politischem Handwerk zu tun hat, dafür aber immer mehr mit Storytelling. Politik ist nicht mehr die nüchterne Aushandlung von Lösungen, sondern ein fortlaufendes Narrativ, das sich täglich neu inszenieren muss. Ein starker Moment in einer Debatte, eine polarisierende Aussage, ein Tabubruch, ein viraler Clip oder einfach eine emotionale Geste, kann weit mehr bewirken als nur langwierige parlamentarische Diskurse.
Was aber bedeutet das für die Demokratie? Wenn Pathos und Performativität alles dominieren, verliert die Politik ihren analytischen Kern. Die Komplexität politischer Entscheidungen wird zugunsten von schnellen, einprägsamen Bildern verdrängt. Politische Prozesse mutieren zu einer Reality-Show, in der es nicht mehr um nachhaltige Gestaltung geht, sondern um die Inszenierung von Momenten. Die Frage lautet nicht mehr: Was ist die beste Lösung? Sondern: Welches Narrativ gewinnt?
Das ist die Welt, in der Politik heute existiert. Weniger Ethos, weniger Logos – dafür mehr Pathos und Performativität.
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