
Politische Sprache: Über Freiheit, Verantwortung, Sicherheit – und andere Missverständnisse
Über politische Sprache, Wahrheit und die stille Macht der Worte
Wir leben in einer Zeit, in der fast alles gesagt wird – aber immer weniger davon etwas bedeutet. Die politische Sprache ist voll von Begriffen, die ihren Inhalt längst verloren haben. Freiheit, Verantwortung, Sicherheit – Begriffe, die in beinahe jeder politischen Rede auftauchen und inzwischen so leer sind wie die Versprechen, die damit gemacht werden.
Wittgensteins Formel hat sich längst ins Politische übersetzt: Die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt. Wer die Begriffe kontrolliert, kontrolliert, was denkbar ist – ganz im Sinne von Orwells „Neusprech“, der Sprache nicht verändert, um zu verstehen, sondern um zu lenken.
Sprache ist nicht neutral. Sie ist kein bloßes Mittel zur Verständigung, sondern ein Werkzeug der Ordnung. Sie entscheidet nicht nur, wie wir sprechen, sondern worüber überhaupt gesprochen wird. Wer die Begriffe setzt, erschafft Wirklichkeit.
Was dramatisch klingt, ist aber Alltag: Wer heute „Freiheit“ sagt, meint oft nur den freien Markt. Wer von „Werten“ spricht, sichert meist die eigenen Interessen ab. Wer „Verantwortung“ fordert, meint häufig, dass jemand anders dafür zahlen soll. Und wer „Sicherheit“ verspricht, meint selten sozialen Schutz – meist geht es um Kontrollen oder innere und äußere Abwehr.
Die eigentliche Gefahr liegt nicht im offenen Lügen. Sie liegt im ständigen Wiederholen des Immergleichen – bis wir es für selbstverständlich halten.
Politische Sprache: Die sanfte Gewalt der Wörter
Wirklich gefährlich ist nicht, was falsch ist. Sondern was sich so oft wiederholt, dass niemand mehr merkt, dass es falsch sein könnte. Sprache ist ein Werkzeug in menschlicher Hand. Wer sie einsetzt, legt uns Begriffe in den Mund, deren Bedeutung wir nicht mehr prüfen. „Chancengleichheit“ klingt fair – solange niemand fragt, warum Kinder aus einkommensschwachen Familien noch immer geringere Bildungsabschlüsse erzielen. Der Begriff wiegt in Sicherheit – und verspricht Gerechtigkeit, wo oft nur Gleichförmigkeit herrscht. Sprache schafft ein Gefühl von Ausgewogenheit – und übertönt die Ungleichheit, die sie eigentlich benennen müsste.
So wird aus „alternativlos“ ein Totschlagargument, aus Reformen ein Synonym für Leistungsabbau. Jahrelang tat man so, als sei die Schwarze Null ein Naturgesetz, bis kaum noch jemand fragte: Warum eigentlich? Wenn Politiker von „Bürokratieabbau“ reden, jubeln alle. Manches Formular gehört auch wirklich in den Schredder – wer aber pauschal kürzt, merkt erst später, dass plötzlich die Kontrollen fehlen, die unser Trinkwasser, Medikamente, die Rechte von Beschäftigten, Verbrauchern oder das Klima schützen.
Der vertraute Appell „Wir müssen sparen“ klingt edel, solange nicht deutlich wird, dass das Sparschwein im Klassenzimmer oder Krankenhaus steht. Die haushalterische Konsumausgabe verkommt zum Inbegriff für Verschwendung staatlicher Gelder, während die Investition hochgelobt wird. Verschleiert wird dabei aber, dass auch die Beschäftigung von Lehrkräften oder Polizisten im Haushaltsrecht Konsumausgaben sind.
Wiederholung wirkt wie Hintergrundmusik. Sie lullt ein. Was plausibel klingt, wird unhinterfragt zur Wirklichkeit. Je öfter es gesagt wird, desto leiser werden die Fragen danach, ob es überhaupt stimmt. Diese Sprachstrategien funktionieren, weil sie nicht schreien. Sie beruhigen. Sie erzeugen ein Gefühl von Kontrolle, Vernunft, Alternativlosigkeit, von Selbstverständlichkeit. Und genau deshalb sind sie so wirksam. Wer sich von der Sprache beruhigen lässt, fragt nicht mehr nach dem, was hinter ihr liegt.
Was wir also erleben, ist keine Diktatur der Sprache. Es ist eine Gewöhnung an Sprachformen, die ihren Wahrheitsgehalt verloren haben. Euphemismen, technokratische Floskeln, moralisch aufgeladene Leerformeln – sie schaffen eine glatte sprachliche Oberfläche. Zu glatt für Wahrheit.
Politische Sprache: Wer spricht, regiert die Wirklichkeit
Wahrheit ist keine Privatsache. Zumindest nicht dort, wo sie Geltung beansprucht.
Sie entsteht im Streit der Begriffe. Aber nicht alle haben das gleiche Gewicht. Wer Gehör findet, wer die Begriffe prägt, wer die Sätze formuliert, die hängen bleiben – der bestimmt, was als Wirklichkeit gilt.
Sprache beschreibt nicht nur, was gesagt wird – sondern auch, wie etwas wahrgenommen wird. In politischen und medialen Debatten kommt es immer weniger auf das Argument an als auf das Framing. Wer den Ton vorgibt, setzt die Richtung. Wörter wie „Klimakleber“, „Genderwahn“, „Lügenpresse“ oder „Altparteien“ funktionieren nicht nur als Beschreibung, sondern als Bewertung. Sie laden den Diskurs emotional auf – und werfen einen dunklen Schatten, unter dem sachliche Argumente kaum noch sichtbar sind.
Ähnlich irreführend wirkt der Begriff der „Rekordsteuereinnahmen“ – ein beliebter rhetorischer Trick, der auf fehlende Haushaltsdisziplin hinweisen soll. Dabei steigen die Einnahmen nicht nur wegen einer florierenden Wirtschaft, sondern auch durch die schleichende Wirkung der Inflation. Dass die Steuereinnahmen fast jedes Jahr „Rekordwerte“ erreichen, liegt schlicht daran, dass Preise steigen – und damit Bemessungsgrundlagen. Wer das verschweigt, setzt nicht auf Transparenz, sondern auf Stimmung. Sprache ist auch hier kein Spiegel – sondern ein Rahmen.
Medien, Macht und Missverständnisse – ein Fazit
Wahrheit spielt oft keine Rolle. Entscheidend ist, wie oft etwas gesagt wird, mit welcher Sicherheit und mit welchem medialen Echo. In einer Welt der permanenten Wiederholung gewinnt nicht das Wahre, sondern das Wiederholbare.
Das betrifft nicht nur die politische Sprache. Vor allem in sozialen Medien wird Sprache zunehmend zur Waffe. Schlagworte ersetzen Denken, Empörung ersetzt Analyse. Jeder will recht haben, niemand will zuhören. Die Kommunikation ist schnell, flüchtig – und vor allem aber laut.
Der Philosoph Byung-Chul Han beschreibt diese Form der Öffentlichkeit als einen „Schwarm ohne Tiefe“ – eine digitale Masse, die ständig sendet, aber kaum noch zuhört. Es ist ein Raum der Reaktionen, nicht der Reflexion. Und weil der Algorithmus das verstärkt, was polarisiert, wird Wahrheit immer häufiger zum Kollateralschaden im Kampf um Aufmerksamkeit.
Wahrheit aber braucht Zeit. Und Stille. Sie ist langsam, widerspenstig, oft unbequem. Genau das macht sie heute so schwer vermittelbar – in einer Gesellschaft, die Schnelligkeit mit Relevanz verwechselt und Lautstärke mit Bedeutung. Wahrheit ist oft kompliziert. Sie widerspricht Erwartungen, durchkreuzt Narrative, lässt sich nicht in 280 Zeichen pressen. Wer nach ihr sucht, muss aushalten können, dass sie sich entzieht, dass sie mitunter wehtut – und dass sie nie ganz sicher ist. Vielleicht ist das ihr einziger Trost: dass sie nicht verfügbar ist wie eine Parole, sondern mühsam erarbeitet werden will.
Interne Links:
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Externe Links:
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