Selbstwerdung und Authentizität
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Selbstwerdung und Authentizität: Ein Blick auf Kierkegaards Stadien des Lebens im Zeitalter des Digitalen
„Wer ästhetisch lebt, der erwartet alles von außen. Daher die krankhafte Angst, mit der viele Menschen von dem Schrecklichen sprechen, dass man seinen Platz in der Welt nicht erlangt habe (…), eine solche Angst deutet stets darauf hin, dass ein Mensch alles vom Platz erwartet, nichts von sich.“
Sören Kierkegaard
Dieses Zitat des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard ist nunmehr rund 175 Jahre alt, könnte aber relevanter kaum sein. Es ist eng mit dem Konzept des „Selbst“ in Kierkegaards Philosophie verknüpft. Die Entwicklung des „Selbst“ ist ein zentraler Begriff bei Kierkegaard und beschreibt einen Prozess der Selbstwerdung und Authentizität. Diesen Prozess unterteilt er, vereinfacht dargestellt, in drei Lebensstadien: ästhetisch, ethisch und religiös.
Im ästhetischen Stadium ist der Mensch das, was er unmittelbar ist, er wird gleichermaßen in dieses Stadium hineingeboren. Das ästhetische Leben ist strukturell von einem „geschehen- und treibenlassen“ gekennzeichnet und ist wesentlich von äußeren Reizen abhängig sowie von einer gewissen Oberflächlichkeit geprägt.
Im ethischen Stadium fasst der Mensch sein Leben nicht mehr als bloße Ereignisfolge auf, sondern begreift dieses als Aufgabe, für die er eine Verantwortung trägt (Hirsch 2013, S. 484). Sie ist die Phase der Selbstwerdung durch Authentizität.
Der folgende Essay ist eine Reaktion auf das oben genannte Zitat. Es ist eine Mögliche Interpretation unter Bezugnahme moderner Einflussfaktoren wie etwa sozialer Medien auf das ästhetische Leben in einer säkularen Deutung, das heißt, ich werde hier die religiöse Dimension vernachlässigen.
Selbstwerdung und Authentizität: Kierkegaards Lebensstadien
Das Ästhetische Stadium
Ästhetisch Leben heißt vor allem eines, Erfahrungen und Empfindungen als Quelle der Identität und der Erfüllung zu betrachten. Sei es ein schönes Essen, der wundervolle Anblick eines Sonnenuntergangs, die Freude einer gelungenen Party, das Adrenalinrauschen beim Extremsport oder modische Trends, denen man folgt. Auch in der Kunst, der Musik und der Literatur suchen wir ästhetische Erfahrungen, die uns in den Moment eintauchen lassen und uns kurzzeitig in Welten der Vorstellung oder der Sinnesfreude entführen. Die Ästhetik kann sich in der Haptik eines Gegenstands ebenso wiederfinden wie in der Komplexität eines Films, eines Musicals, im Einklang einer Melodie (Strebe 2014, S. 8-12) oder dem Lesen eines anregenden Blogartikels.
Jagd nach Erlebnissen
Wie ein Schmetterling, der im Garten des Lebens von einer Blüte zur nächsten fliegt, so ist das ästhetische Stadium geprägt von der Suche nach der jeweils nächsten Erfahrung. Doch wie jeder Garten hat auch der Garten des ästhetischen Lebens seine schattigen Plätze. Dort lauern die unerfüllten Sehnsüchte, die unausgesprochenen Worte, die der Duft der Blumen nicht vertreiben kann. Dabei entsteht die Frage, ob die jagende Schmetterlingsseele jemals Ruhe finden kann, oder ob die Sättigung der Sinne eine Illusion bleibt, die im nächsten Moment zerbricht, um sich dann erneut auf die Suche zu machen.
Die ästhetische Lebensweise, wie sie von Kierkegaard beschrieben wird, ist durch einen Zyklus des Verlangens und der kurzlebigen Befriedigung gekennzeichnet. In dieser Lebensweise besteht eine beständige Suche nach dem nächsten Erlebnis oder „Kick“. Das „Selbst“ nimmt jedoch keine aktive Rolle bei der bewussten Gestaltung des eigenen Lebenswegs ein, was oft zu einem Kreislauf aus flüchtigen Vergnügungen und oberflächlichen Erfahrungen führt.
Das ästhetische Stadium ist jedoch nicht einfach nur eine niedrigere oder weniger wertvolle Lebensform; sie ist vielmehr ein unausweichlicher Bestandteil des menschlichen Daseins. Vor allem als junge Menschen sind wir dazu geneigt, das Leben auszukosten, alles auszuprobieren, den Geschmack der Welt und jedes Gefühl in uns aufzunehmen. Die Gefahr sieht Kierkegaard nicht in dem Stadium an sich, als vielmehr darin, dass wir in diesem Stadium verbleiben, in ihm verharren.
Moderne Räume ästhetischer Wahrnehmung
Die Räume in denen wir uns als Individuen in der modernen Welt bewegen, haben sich vergrößert. Das ästhetische ist nicht mehr nur auf Räume der persönlichen Erfahrung begrenzt, sondern durch die Einbeziehung digitaler Realitäten erweitert.
In sozialen Netzwerken präsentieren die Menschen nicht nur ihr „wahres“ Selbst, sondern oft idealisierte Versionen, Avatare, die einer ästhetischen Vision entsprechen. Diese Avatare zeigen, wie die Nutzer gerne von anderen gesehen werden möchten oder sie verkörpern die eigenen ästhetischen Wünsche und Vorstellungen. Dies zeigt sich auch schon darin, dass viele soziale Netzwerke Fotobearbeitungsprogramme und Filter bereitstellen, mit deren Hilfe sich die Nutzer in einer äußerst perfekten Form präsentieren können. Diese Werkzeuge unterstreichen die Ambivalenz zwischen Authentizität und Inszenierung und ermöglichen es, eine überarbeitete Version des eigenen Selbst zu präsentieren. Sie vereinfachen den Prozess der ästhetischen Selbstoptimierung und verstärken die Neigung, sich überwiegend durch die Linse der äußeren Anerkennung zu betrachten.
Authentizität vs. Inszenierung
Im Zeitalter der sozialen Medien stellt sich zurecht die Frage nach Authentizität. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem natürlichen Verlangen nach authentischer Selbstpräsentation und der Versuchung, eine ideale Version von sich selbst darzustellen. Dieses Ringen um Authentizität inmitten von inszenierten Identitäten wirft wichtige Fragen über die Bedeutung und den Wert des „wahren“ Selbst in der modernen Welt auf.
Insgesamt bietet die moderne, digitale Ära, eine Vielzahl an Räumen und eine unbegrenzte Möglichkeit ästhetischer Erfahrungen. Vor allem aber hat die digitale Welt in den vergangenen Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Sie bietet ständig neue Möglichkeiten der ästhetischen Selbstpräsentation und eine Möglichkeit der sofortigen Befriedigung – sei es durch Bewertungen entweder durch „Likes & Shares“, virale Trends oder die endlose Flut an unterhaltsamen und informativen Inhalten.
In diesem Kontext wird die Authentizität nicht nur durch die unmittelbare Darstellung des Selbst herausgefordert, sondern auch durch die ästhetischen Wahlmöglichkeiten, die die digitale Welt bietet. Authentizität wird zu einer Ware, die in der Währung der sozialen Anerkennung umgesetzt wird. Die Ästhetik spielt dabei eine entscheidende Rolle: Sie kann entweder als Werkzeug für eine scheinbar authentische Selbstdarstellung dienen oder aber die Echtheit des Individuums inmitten der inszenierten, ästhetisch optimierten Online-Welten verschleiern.
Seinen Platz in der Welt nicht erlangen
Was aber folgt aus einer solchen ästhetischen Lebensweise? Als ein existenzielles Stadium, das wir alle durchlaufen, folgt daraus zunächst eine wertvolle Erkenntnis: nämlich die Erfahrung (Streebe 2014, S. 8). Wir erfahren sprichwörtlich die Welt, wir erkunden Sie mit all unseren Sinnen und lernen, uns emotional zu verorten. Es gibt tatsächlich einige Redewendungen, die das Verlassen des ästhetischen Stadiums und den Übergang in die nächste Phase beschreiben, so etwa, dass sich jemand „die Hörner abgestoßen“ oder „sich ausgetobt“ hat oder in den „sichereren Hafen eingelaufen“ ist und nun „festen Boden“ unter den Füßen hat. All diese Phrasen drücken aus, dass sich eine Veränderung vollzogen hat, eine Veränderung von der Umtriebigkeit des Daseins zu einer stabileren Phase des Lebens. Jemand hat also die Bereitschaft, nun seinen Platz im Leben zu finden, was Kierkegaard als das ethische Stadium beschreibt.
Was aber wenn diese Phase des ästhetischen Lebens nicht überwunden wird? Hierbei stellt sich die Frage: Ist diese Form der Lebensführung letztendlich sinnstiftend? Kann ein Leben, das von der ständigen Jagd nach dem nächsten Erlebnis getrieben ist, wirklich erfüllt sein? Die Suche nach der nächsten sinnlichen Erfahrung mag uns kurzfristig befriedigen, aber stillt sie auch den tieferen „Hunger“ nach einem erfüllten und sinnvollen Leben?
Wenn wir in der ästhetischen Lebensphase verharren, mag das kurzfristige Freude und sinnliche Erfüllung bringen. Doch was passiert, wenn wir aufhören, ständig dem nächsten Kick hinterherjagen? Lässt die Abhängigkeit von äußeren Reizen uns am Ende leer zurück? Kierkegaard würde argumentieren, dass der ästhetische Mensch Gefahr läuft, in einer existenziellen Leere zu enden. Das Streben nach ständig neuen Erlebnissen und Sensationen kann zu einem Zyklus der Enttäuschung führen, wenn diese Erlebnisse nicht mehr die gleiche Wirkung haben oder wenn die äußeren Umstände – etwa durch Krankheit, Alter oder andere Lebensveränderungen – uns davon abhalten.
Digitale Verschärfung des ästhetischen Lebensstils
An dieser Stelle lohnt sich auch nochmals der Blick in die digitale Welt. Im Zeitalter von Social Media und Online-Plattformen hat die ästhetische Lebensweise eine neue Dimension erreicht: Die Jagd nach Likes, Followern und Anerkennung. Der ständige Strom an Bestätigung durch digitale Reaktionen mag zwar eine unmittelbare, oberflächliche Befriedigung bieten, verstärkt jedoch die Erwartungshaltung, das Leben als eine ununterbrochene Folge von „Höhepunkten“ zu sehen. Die Gefahr, in dieser endlosen Schleife der Selbstbestätigung gefangen zu werden, ist real und weit verbreitet.
Diese digitale Dynamik trägt zur Entstehung einer Kultur bei, in der der ästhetische Lebensstil nicht nur glorifiziert, sondern auch permanent befeuert wird. Anstatt tiefgründige Beziehungen zu pflegen oder nach nachhaltigen Zielen zu streben, richtet sich der Fokus immer mehr auf die sofortige, lediglich oberflächliche, sichtbare Bestätigung durch andere. Dabei ist zu beachten, dass diese Form der Anerkennung flüchtig und vergänglich ist, und nicht den tieferen „Hunger“ nach einem erfüllten und sinnvollen Leben stillen kann.
Kierkegaard war der Ansicht, er schriebe mehr für zukünftige als für zeitgenössische Leser – eine Auffassung, die im heutigen digitalen Zeitalter eine besondere Bedeutung erlangt. Ein Beispiel dafür ist seine Aussage über die Angst, im Leben keinen festen Platz zu finden, da man seine Erwartungen eher an andere als an sich selbst knüpft. Diese Idee findet im Kontext der sozialen Medien eine außerordentlich moderne Resonanz. Wer seine Identität an den Erwartungen anderer ausrichtet, riskiert Enttäuschung, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden. Laut Kierkegaard sollte das individuelle „Selbst“ die Grundlage für die eigenen Erwartungen sein, wodurch es zur zentralen Instanz bei der Bestimmung der Lebensrichtung wird. Ein Leben, das von den Meinungen anderer gesteuert wird, entbehrt eines fundamentalen Elements: der Verantwortung für das eigene Dasein.
Das ethische Stadium – der Weg der Selbstwerdung durch Authentizität
Dieser Gedanke bringt uns an den Übergang zum ethischen Stadium. Dieses sieht Kierkegaard als unerlässlichen Schritt, für ein erfülltes und sinnvolles Leben. Im ethischen Stadium übernehmen wir genau diese Verantwortung für unser eigenes Leben und unsere Handlungen. Hier erkennen wir, dass wahre Erfüllung nicht allein durch sinnliche Erlebnisse zu erreichen ist, sondern durch die Verfolgung eigener, höherer Ziele und dem Streben nach moralischen Prinzipien. In diesem Stadium entwickeln wir eine tiefere, weniger flüchtige Beziehung zu uns selbst und zu anderen, die auf moralischen Werten und langfristigen Zielen basiert. Pointiert könnte man auch sagen, sinn-lich ist eben nicht gleich auch sinn-haft.
Während das ästhetische Stadium durch spontane Emotionen und unmittelbare Erfahrungen gekennzeichnet ist, verlangt das ethische Stadium nach Reflexion, Engagement und einem tieferen Verständnis für sich selbst und die Welt. Hier wird der Mensch in die Rolle eines Autors seines eigenen Lebensbuches versetzt, in dem er sowohl Schreiber als auch Hauptfigur ist. Er wird sich seiner Rolle in der Welt und seiner Verantwortung gegenüber anderen bewusst sein.
Das ethische Stadium hat auch stark mit Kierkegaards Konzept der Wahl und der Freiheit zu tun. Ein ethisches Leben zu führen bedeutet, bewusst Entscheidungen zu treffen, die im Einklang mit den eigenen Prinzipien und Werten stehen. Es geht darum, sich nicht einfach von äußeren Einflüssen treiben zu lassen, sondern aktiv und bewusst den eigenen Lebensweg zu gestalten.
In der modernen, digitalen Welt erlangt das ethische Stadium besondere Relevanz. Die Flut sozialer Medien und die ständige Präsentation idealisierter Selbstbilder können dazu führen, dass die Menschen ihre Identität und ihr Selbstverständnis primär aus externer Bestätigung beziehen. Das ethische Stadium fordert jedoch, dass wir uns von dieser Abhängigkeit lösen und beginnen, unsere Erwartungen und Lebensziele auf der Grundlage unserer eigenen, inneren Werte zu entwerfen.
Letztlich verweist Kierkegaard die Verantwortung für das eigene Leben auch auf die Beziehung zum Transzendenten, was er im religiösen Stadium weiter ausführt. Aber selbst, wenn man diesen Aspekt beiseitelässt, und das meinte ich mit meiner Eingangs erwähnten „säkularen Deutung“, bleibt die zentrale Botschaft: Ein erfülltes und sinnvolles Leben kann nur erreicht werden, wenn man die Verantwortung für das eigene Dasein aktiv übernimmt, den Weg der Selbstwerdung einschlägt und nach einer tieferen, inneren Authentizität strebt.
Selbstwerdung und Authentizität: Abschließende Gedanken
Das ästhetische Stadium ist ein notwendiger Teil des menschlichen Daseins, der uns wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse bietet. Wer aber alles „vom Platz“, von außen erwartet, der riskiert, seinen Platz in der Welt nicht zu erlangen, weil er damit die Verantwortung für sein eigenes Leben, seine eigene Erfüllung und seine eigene Identität abgibt. Es entsteht ein existenzielles Vakuum, das durch keine Anzahl von Likes, Events oder sinnlichen Erfahrungen gefüllt werden kann. Es ist ein Leben, das in der Oberfläche verhaftet bleibt, unfähig, die Tiefen Gewässer des ethischen und vielleicht sogar des religiösen oder spirituellen Stadiums zu erforschen.
In einer zunehmend digitalisierten Welt, die durch die unaufhörliche Jagd nach ästhetischen Momenten und schnellen Belohnungen geprägt ist, betont Kierkegaard die Bedeutung der Besinnung auf sich selbst. Er lädt uns ein, über die ästhetische Lebensweise hinauszugehen, Verantwortung für unser eigenes Dasein zu übernehmen, tiefergehende Beziehungen zu pflegen und uns an höheren Zielen zu orientieren.
So betrachtet, wird klar, dass die ästhetische Lebensweise zwar Teil einer Entwicklungsphase sein kann, wahrscheinlich sogar soll, aber nicht das Ende der Reise darstellt. Dabei ist nicht genug, seinen Platz in der Welt lediglich zu finden. Vielmehr gilt es, sich auf diesen Platz hin selbst zu entwerfen, indem wir die ästhetische Phase hinter uns lassen und die komplexeren Räume unserer Existenz betreten. Nur durch die bewusste Reise der Selbstwerdung können wir die Angst überwinden, „seinen Platz in der Welt nicht zu erlangen“ und stattdessen ein Leben führen, das in Selbstverantwortung und Authentizität verwurzelt ist.
Ich schätze jedes Feedback sehr – lassen Sie mich wissen, was Sie denken, selbst wenn der Artikel nicht ganz Ihr Fall war
Literaturverzeichnis zu „Selbstwerdung und Authentizität:
Hirsch, E.: Sören Kierkegaard, in: Philosophie Lexikon. Hg von Anton Hügli/Poul Lübcke. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2013, S. 480-486
Strebe, Rita, (2014). Das visuell Ästhetische im Web: eine experimentelle Untersuchung zum Einfluss der affektiven Bewertungsebene auf das Annährungs- und Vermeidungsverhalten (Dissertation, Sprach-, Literatr- und Kulturwissenschaften), Regensburg
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Externe Links:
2 Comments
Ralf
Wow. Als junger Mann habe ich Kierkegaard gelesen. Und eigentlich möchte ich „Wie ein Schmetterling, der im Garten des Lebens von einer Blüte zur nächsten fliegt, so ist das ästhetische Stadium geprägt von der Suche nach der jeweils nächsten Erfahrung. “ leben.
Kierkegaard verstand unter dem ästhetischen Stadium eine Existenzweise, in der der Mensch nur nach dem unmittelbaren Genuss und Vergnügen strebt, ohne sich um ethische oder religiöse Werte zu kümmern. Er lebt in der Gegenwart, ohne sich um die Vergangenheit oder die Zukunft zu sorgen. Er ist nicht verantwortlich für seine Handlungen oder für andere Menschen. Er ist ein Sklave seiner Sinne und seiner Launen. Er langweilt sich schnell und sucht ständig nach neuen Reizen und Abwechslungen. Er ist unfähig, sich zu binden oder zu lieben.
Kierkegaard kritisierte das ästhetische Stadium als eine unwirkliche und oberflächliche Existenzweise, die den Menschen von seinem wahren Selbst und von Gott entfernt. Er sah darin eine Flucht vor der Angst und der Verzweiflung, die aus der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit und Schuld entstehen. Er glaubte, dass der Mensch nur im ethischen oder religiösen Stadium seine wahre Freiheit und Bestimmung finden kann, indem er sich für das Gute entscheidet und sich auf das Absolute verlässt.
Marc-Anthony Widmann
Hallo Ralf,
ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar und Deine sinnvollen Ergänzungen zum ästhetischen und dem ethischen Stadium in Kierkegaard Philosophie. Eines füge ich noch hinzu:
Für Kierkegaard führen am Ende beide Stadien zur Verzweiflung. Denn beide Stadien führen für Kierkegaard angesichts der Nichtigkeit des Daseins nicht zur Erlösung. Hier kommen das religiöse Stadium und der Sprung in den Glauben ins Spiel. Kierkegaard sieht die religiöse Lebensweise als den Weg zur Lösung, da sie das ethische und ästhetische vereint und den Menschen zu Gott zurückführt. Damit stellt er die Idee dar, dass die Vereinigung von Ethik und Ästhetik nur durch das Religiöse erreicht werden kann.
In meinem Essay setze ich anstatt des religiösen Stadiums auf die Bedeutung moralischer Verantwortung, der Selbstverantwortung sowie der persönlichen Entwicklung bzw. persönliches Wachstum, um ein erfülltes Leben zu erreichen; ein Leben, das sich nicht bloß im sinnlichen verlustiert. Das vielleicht als Antwort auf die Schmetterlingsmetapher.
Selbstverantwortung ist für mich dabei ein Schlüsselbegriff. Sich nicht passiv von äußeren Einflüssen und Reizen steuern lassen, sondern aktiv und bewusst den eigenen Lebensweg entwerfen, bewusste Entscheidungen treffen und die eigenen Handlungen reflektieren, anstatt sich einfach „treiben zu lassen. Authentisch sein, mit sich selbst übereinstimmen.
Danke nochmals und viele Grüße
Thony