Thanos
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Marvel philosophisch,  Philosophie

Thanos – Nihilist, Utilitarist oder radikaler Ökoaktivist? Marvel philosophisch

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Marvel philosophisch: Thanos – Nihilist, Utilitarist oder radikaler Ökoaktivist?

Thanos hatte es nicht leicht. Eine genetische Mutation machte ihn schon als Kind zum klassischen Außenseiter. Diese Erfahrung prägte ihn so stark, dass er zum Bösewicht unter den Bösewichten avancierte. Nachdem sein einst mächtiges Volk der „Titanen“ aufgrund mangelnder Ressourcen ausstarb, blieb er als einziger zurück. Dieses Schicksal motivierte ihn, das Universum vor demselben Schicksal zu bewahren.

Als ehrgeiziger Retter widmete er sich von nun an leidenschaftlich der Bevölkerungskontrolle auf intergalaktischer Ebene. Mit einem rigiden Ansatz im Thema Ressourcenmanagement, versuchte er das Universum vor der Überbevölkerung und einer daraus resultierenden Ressourcenknappheit zu retten. Zudem ist er ein Familienmensch mit komplizierten Beziehungen, der sich offenbar schwer damit tut, von seinen Adoptivkindern Anerkennung zu bekommen.

Der Plan

Thanos‘ Plan war es, alle sechs Infinity-Steine zu sammeln, die ihm zu unermesslicher Macht verhelfen sollten. Sein Ziel ist die periodische Auslöschung der Hälfte des Lebens im Universum – ein Plan, den er in früheren Zeiten bereits erfolgreich umgesetzt hatte.

Dabei opferte er sogar seine geliebte Adoptivtochter Gamora, um den Seelenstein zu erhalten. Ein Akt, der einer der düstersten griechischen Tragödien entsprungen sein könnte oder an den frommen Abraham erinnert, der bereit war, seinen eigenen Sohn zu opfern. Jedenfalls führte dies zu einer weiteren Verschärfung der ohnehin schon angespannten Familiensituation und mündete in ein waschechtes kosmisches Familiendrama.

Zur Sache

Typisch für Marvel werden auch hier komplexe gesellschaftliche Probleme in einer bildgewaltigen Schwarz-Weiß-Rahmung präsentiert. Doch werfen wir einen genaueren Blick auf Thanos‘ philosophische Ausrichtung.

Versuch einer ethischen Einordnung

Thanos – ein Nihilist?

Der Nihilismus, wie ihn Friedrich Nietzsche formulierte, besagt, dass das Leben, im Grunde das ganze Universum, keine inhärente Bedeutung hat. Thanos scheint auf den ersten Blick ein klassischer Nihilist zu sein: Er löscht Leben aus, ohne zu zögern, als ob es keinen höheren Wert hätte. Doch dieser Eindruck täuscht. Thanos‘ Handlungen sind nicht aus einer Bedeutungslosigkeit geboren, sondern aus einer tiefen Überzeugung und einem verzweifelten Versuch, ein als sinnvoll erachtetes Ziel zu erreichen. Dies zeigt vor allem seine Aussage gegenüber Gamora im „Soul Stone Realm“, als er ihr sagte: „Ich habe einmal mein Schicksal ignoriert, das kann ich nicht noch einmal tun. Nicht einmal für dich.“ Offenbar ist Thanos im Bewusstsein, einer (seiner) Bestimmung folgen zu müssen, was darauf hindeutet, dass er eben kein Nihilist ist.

Thanos – ein Utilitarist?

Der Utilitarismus, verkörpert durch Philosophen wie Jeremy Bentham und John Stuart Mill, strebt danach, das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl zu schaffen. Thanos‘ radikale Methode der Halbierung könnte auf den ersten Blick utilitaristisch erscheinen: Durch die Reduktion der Bevölkerung möchte er langfristig mehr Leid verhindern und mehr Wohlstand für die Überlebenden sichern. In „Avengers: Infinity War“ erklärt Thanos diese Vision gegenüber Doctor Strange auf Titan. Er sagt: „Die schwierigsten Entscheidungen erfordern den stärksten Willen.“ Thanos beschreibt dann, wie er sein eigenes Volk vor der Überbevölkerung retten wollte und dass sein Plan, die Hälfte der Bevölkerung auszulöschen, auf ein langfristiges Wohlstandsziel ausgerichtet war. Allerdings pervertiert diese genozidale Auslöschung kosmischen Ausmaßes den klassischen utilitaristischen Ansatz, da sie dem Ziel des maximalen Glücks widerspricht.

Deontologie

Ein weiterer philosophischer Ansatz zur Bewertung von Thanos‘ Handlungen ist die Deontologie, insbesondere in der Form, wie sie von Immanuel Kant formuliert wurde. Kants kategorischer Imperativ in der Form der „Menschheitsformel“ fordert ein striktes Instrumentalisierungsverbot. Nach Kant dürfen Menschen niemals nur als Mittel zum Zweck, sondern immer auch als Zweck an sich betrachtet werden. Thanos’ systematische Auslöschung von Leben widerspricht diesem Prinzip fundamental, da er Individuen lediglich als Mittel zur Erreichung seines Ziels verwendet. Nach der Pflichtethik nach Kant ist das Töten von Menschen grundsätzlich unmoralisch. Jede Handlung muss an sich moralisch vertretbar sein, unabhängig von ihren Konsequenzen. Der Zweck heiligt hier also gerade nicht die Mittel. Das bedeutet, dass Thanos‘ Ansatz, Leben zu opfern, um ein vermeintlich größeres Gut zu erreichen, aus der Perspektive der Pflichtethik nicht zu rechtfertigen ist.

Tugendethik

Auch die Tugendethik, wie sie von Aristoteles entwickelt wurde, bietet eine interessante Perspektive. Thanos mag zwar Eigenschaften wie Mut und Entschlossenheit zeigen, doch fehlen ihm essentielle Tugenden wie Gerechtigkeit und Empathie. Aristoteles‘ Konzept der Eudaimonia, das ein erfülltes und glückliches Leben anstrebt, wird durch Thanos‘ rücksichtslosen Ansatz konterkariert, der das Wohl der Gemeinschaft missachtet. Wobei, war da nicht doch etwas „Gerechtes“ in Thanos Handlungen?

Gerechtigkeit und Zufallsprinzip

Ein zentraler Aspekt in der Bewertung von Thanos‘ Handlungen ist sein Verständnis von Gerechtigkeit. Aus seiner Sicht ist er gerecht, da er bei der Auslöschung der Hälfte des Lebens im Universum keine spezifischen Individuen auswählt, sondern den Zufall entscheiden lässt. Weder privilegiert noch diskriminiert er jemanden bewusst. Dieses Zufallsprinzip kann als ein gerechter Ansatz angesehen werden, da es vermeidet, dass persönliche Vorurteile und Entscheidungen in den Prozess einfließen.

Aus Thanos‘ Perspektive (und es ist nicht erwiesen, dass er völlig unrecht hat mit der Annahme, dass das Universum überbevölkert ist) stellt seine Methode eine Form der Gerechtigkeit dar. Er ist davon überzeugt (und vielleicht weiß er es auch), dass sein Handeln notwendig ist, um ein größeres Übel zu verhindern – nämlich das vollständige Aussterben von Leben aufgrund von Ressourcenknappheit.

Thanos – Radikaler Ökoaktivist?

Vielleicht ist Thanos am ehesten als radikaler Ökoaktivist zu verstehen. In „Avengers: Endgame“ lebt Thanos nach der erfolgreichen Auslöschung der Hälfte des Universums auf einer abgelegenen Farm und genießt einen Moment der Ruhe, während er über die neue Balance im Universum spricht. Diese Szene verdeutlicht Thanos’ Vision einer neuen ökologischen Balance und symbolisiert seine Überzeugung, dass drastische Maßnahmen notwendig waren, um das Universum zu retten.

Diese Einstellung spiegelt eine radikale Form des Umweltaktivismus wider, die davon überzeugt ist, dass extreme Probleme extreme Lösungen erfordern. Radikale Umweltaktivisten sind dafür bekannt, drastische Maßnahmen zu fordern, auch wenn diese hohe ökonomische und soziale Kosten verursachen, um die Natur zu schützen. Thanos sieht sich als Wächter einer kosmischen Balance, die ohne sein Eingreifen aus der Bahn zu geraten scheint. Seine Sorge um die Ressourcenknappheit und das Überleben des Universums reflektiert aktuelle ökologische Ängste und Debatten über Überbevölkerung und nachhaltige Entwicklung. Das zentrale Problem bei Thanos‘ Ansatz liegt in seiner Selbstermächtigung: Er nimmt sich das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden, ohne jegliche Legitimation oder ethische Rücksichtnahme. Allerdings wählt er nicht aktiv aus, wer leben darf und wer sterben muss. Thanos‘ Plan zur Halbierung des Lebens im Universum erfolgt nach dem Zufallsprinzip, was seiner Meinung nach die einzige gerechte Methode ist. Diese Gleichgültigkeit gegenüber individuellen Schicksalen soll die Unparteilichkeit und Gerechtigkeit seines Handelns unterstreichen.

Mein Fazit: Thanos ist eine Warnung vor dem Extremismus

Thanos könnte auch als eine tragische Figur verstanden werden, die gleichzeitig als Warnung vor den Gefahren von Fanatismus und Extremismus dient. Seine guten Absichten, das Universum vor einer vermeintlich unvermeidlichen Katastrophe zu bewahren, führen ihn zu extremen und moralisch fragwürdigen Methoden. Diese Transformation spiegelt die potenziellen Risiken von extremem Engagement wider, besonders wenn es von einer absoluten Überzeugung getrieben wird, dass nur eine radikale Lösung möglich ist.

Seine Geschichte erinnert daran, dass selbst die edelsten Ziele zu Verheerungen führen können, wenn sie ohne Rücksicht auf ethische Grenzen und die Rechte individueller Wesen verfolgt werden. Thanos‘ Entwicklung von einem besorgten Retter zu einem genozidalen Tyrannen illustriert eindringlich, wie das Streben nach einem „höheren Gut“ in Tyrannei und Zerstörung umschlagen kann, wenn der Weg dorthin nicht sorgfältig abgewogen wird.

Dieser Blick auf Thanos lädt zu einer kritischen Reflexion darüber ein, wie leicht sich Extremismus unter dem Deckmantel der Notwendigkeit und des Überlebens verbergen kann. Seine Figur dient als mahnendes Beispiel dafür, dass die Grenzen zwischen radikalem Aktivismus und ethisch vertretbaren Handlungen nicht überschritten werden dürfen, ohne ernsthafte moralische Konsequenzen in Kauf zu nehmen.

In der Gesamtbetrachtung zeigt Thanos‘ Charakter und Handeln, dass eine Balance zwischen Entschlossenheit und ethischer Überlegung notwendig ist, um nicht die Menschlichkeit im Streben nach Lösungen für globale Probleme zu verlieren. So dient Thanos nicht nur als ein Symbol für die Gefahren des Extremismus, sondern auch als Aufforderung, bei jeder Entscheidung die moralischen Implikationen ernsthaft zu erwägen.



Externe Links:

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