Haltung Aufrecht Würde Tugend
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Philosophie des Geistes

Über den Begriff der Haltung – was ist Haltung? Teil 2:

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Lesedauer 7 Minuten

Während ich im ersten Teil dieses Beitrags den Begriff der Haltung aus der theoretischen Perspektive beleuchtet habe, möchte ich den zweiten Teil der praktischen Dimension der Haltung widmen.

B. Praktische Dimension der Haltung

Tugend als Haltung

Wären die alten Griechen heute befragt, könnte sie die Tugend als eine Form von Haltung beschreiben. Für Platon repräsentieren die Kardinaltugenden – Besonnenheit, Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit – ein harmonisches Zusammenspiel, wobei die Gerechtigkeit aus dem optimalen Gleichgewicht der ersten drei Tugenden resultiert. Aristoteles differenziert zwischen „intellektuellen“ und „ethisch-charakterlichen Tugenden“. Die intellektuellen Tugenden umfassen Erkenntnis, Weisheit und Klugheit, während die ethischen Tugenden Besonnenheit, Tapferkeit und Großzügigkeit einschließen. Für ihn ist das „rechte Maß“ bei ethischen Tugenden von zentraler Bedeutung. Als Beispiel balanciert die Tapferkeit zwischen den Extremen der Feigheit und der Tollkühnheit.

Im Mittelalter verlagerte sich der Schwerpunkt der klassischen Tugendlehre zugunsten christlicher Konzepte wie Sünde, Erlösung und göttlicher Gnade. Die christliche Tradition erweiterte die vier Kardinalsstudien durch die drei göttlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, die auf den Apostel Paulus zurückgehen.

Die verschiedenen Tugenden, die wir betrachten können, beschreiben in ihrem Wesen jeweils ein Verhältnis oder anders gesprochen, eine Grundeinstellung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Tugend der „Mäßigung“, die deutlich zeigt, wie wir uns durch sie zu uns selbst als auch zur Welt verhalten. Gleiches gilt für Tugenden wie Großzügigkeit oder Besonnenheit, die vorrangig unser Verhältnis zu anderen Menschen, Tieren, zur Natur und allem, was außerhalb unseres Selbst liegt, reflektieren. Diese Tugenden begründen sowohl unser Selbst- als auch unser Weltverhältnis, das wiederum die Bedeutung jeder einzelnen Tugend widerspiegelt. Tugendhaft zu sein erfordert eine anhaltende Anstrengung, sowohl beim Erlernen als auch beim Bewahren. Wenn Haltung also ein Verhältnis zu uns selbst und zur Welt darstellt – ein Zustand, der durch kontinuierliche Auseinandersetzung und das Bemühen um unsere Positionen und Überzeugungen geprägt ist –, dann kann Tugend als eine Form der Haltung betrachtet werden. Tugend verkörpert eine ernsthafte Disziplinierung, die darauf abzielt, die Tugendhaftigkeit zu bewahren.

Ideologie als Haltung

Nachdem wir die Tugend als eine Form der Haltung betrachtet haben, öffnet sich nun ein weiteres Feld, das mit dem Konzept der Haltung in seiner praktischen Dimension in Zusammenhang steht: die Ideologie. Während die Tugend oft als individuelle Haltung im moralischen oder ethischen Sinn verstanden wird, erweitern Ideologien diesen Rahmen, indem sie kollektive Haltungen und Überzeugungen repräsentieren. Sie bieten nicht nur persönliche Orientierungspunkte, sondern prägen auch unsere sozialen und politischen Strukturen. Die Ideologie ist daher nicht nur eine Ansammlung von Ideen, als vielmehr eine Haltung, die ganz wesentlich unser Verhältnis im privaten als auch im öffentlichen Raum, mithin also unser Selbst- und Weltverhältnis prägt. Im Folgenden soll diese weitere Facette der Haltung näher betrachtet werden.

Niemand ist frei von Ideologie. Ideologien bilden die Grundlage unseres Weltbildes und beeinflussen alle Aspekte unseres Lebens, von unseren politischen Überzeugungen bis zu unseren sozialen Beziehungen. Man könnte sagen, dass wir die Welt durch eine „ideologische Brille“ betrachten, einen Filter, der unsere Wahrnehmung in spezifischer Weise prägt und lenkt, entsprechend den Wertvorstellungen und Annahmen, die unsere jeweilige Ideologie vermittelt. Diese Brille lässt uns die Dinge nicht objektiv, sondern subjektiv sehen. Aber nicht nur das, manches wird stärker fokussiert, manches gar nicht betrachtet. Hierdurch wird die Ideologie zu einer Form von Haltung, die unser Selbst- und Weltverhältnis prägt. Dabei ist sie nicht nur eine Ansammlung von Glaubenssätzen, sondern ein aktiver Prozess der Interpretation und Wertung unserer Wahrnehmung, der uns in unseren Entscheidungen und Handlungen leitet.

Während die Tugend als Haltung vornehmlich das individuelle Selbst beeinflusst, operiert die Ideologie als Haltung in einer kollektiven, sozialen Dimension, beeinflusst jedoch auch tiefgehend das Denken und Handeln und mithin das Selbst- und Weltverhältnis des Individuums.

Würde als Haltung

Historische Perspektive auf die Menschenwürde:

Nicht erst seit dem Humanismus der Renaissance, aber besonders dort, wurde die Würde des Menschen auf ein neues Podest gehoben. Pico della Mirandola argumentierte in seiner „Oratio de dignitate hominis“ für die besondere Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung. Er sah in der menschlichen Freiheit zur Selbstbestimmung ein einzigartiges Merkmal, das den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Der Mensch hat nach Pico die Freiheit, sich selbst zu formen und seine Bestimmung in der Welt frei zu wählen. Der Mensch hat damit gleichsam die Möglichkeit seine Natur zu überwinden und nach höherem zu streben. Hiermit legt Pico den Grundstein des heutigen Konzepts der Menschenwürde.

Auf ähnliche, aber dennoch unterschiedliche Weise begründete Immanuel Kant sein Konzept der Menschenwürde durch die Betonung der Autonomie. Für Kant lag die Würde nicht primär in der Freiheit selbst, sondern in der Fähigkeit des Menschen, durch Vernunft selbstbestimmt und autonom zu handeln. Beide Philosophen haben die moderne Konzeption der Menschenwürde entscheidend geprägt, die einen intrinsischen Wert im Menschen sieht – unabhängig von sozialer Stellung, Fähigkeiten oder Herkunft.

Auch die moderne Konzeption der Menschenwürde bezieht sich auf einen intrinsischen Wert, der dem Menschen ungeachtet anderer Faktoren wie Fähigkeiten, sozialer Stellung oder Herkunft zukommt. Sie kommt dem Menschen kraft seines Menschseins zu. Für seine Würde kann also der Mensch zunächst einmal nichts und genau das ist in diesem Konzept auch die Idee. Sie zu haben, soll eben nicht von bestimmten Eigenschaften abhängen. Das Menschsein selbst ist keine Eigenschaft, von was auch?

Diese traditionellen Konzepte der Würde haben sicherlich nichts mit einer Haltung zu tun. Sie sind im Grunde externe Zuschreibungen. Sie wird dem Menschen einfach von außen zugeschrieben. Eine Haltung aber ist eine Selbstzuschreibung. Demgegenüber möchte ich die Idee einer „Würde als Haltung“ vorstellen.

Würde als gelebte Haltung:

Es dürfte wahrscheinlich Einigkeit darüber herrschen, dass diese zuvor beschriebene Herleitung der Würde nicht dem Verständnis von Würde entspricht, das eigentlich viele von diesem Begriff haben. Denken wir an Würde, stellen wir uns vielmehr eine Person vor, die sich in einer bestimmten Weise verhält, eine ganz bestimmte Selbstpräsentation an den Tag legt. Äußerlich kann das ein aufrechter Gang, ein erhobenes Haupt und ein Ausdruck von Stärke und Erhabenheit sein. Innerlich sind es wohl Qualitäten wie Besonnenheit, Authentizität und Selbstachtung. Begegnen wir einer solchen Person, strahlt sie nach außen hin diese Würde aus.[1] Würde ist in dieser Sichtweise keine abstrakte oder metaphysische Kategorie, sondern ein aktives Verhältnis zu sich selbst und zur Welt – eben eine Haltung.

Was aber macht eine solche Haltung der Würde eigentlich erstrebenswert? Einerseits ist sie unmittelbar sichtbar und wahrnehmbar, andererseits stellt sie eine innere Grundhaltung dar. Sie ist eine „Gesamthaltung“, die eine Harmonie von Körper und Geist anstrebt. Sie besitzt sowohl eine Innen- als auch eine Außenseite. Es ist schlicht unmöglich sich eine Person vorzustellen, die innerlich würdevoll ist und sich gleichzeitig äußerlich in „Unwürde“ verhält. Das gleiche gilt auch umgekehrt. Es wäre schlicht widersprüchlich. Würde als Haltung ist somit nicht nur eine Frage der Ästhetik oder des äußeren Erscheinens. Sie hat auch moralische Dimension. Ein Verhalten, das wir allgemein als negativ oder sogar als böse oder schlecht betrachten, wie zum Beispiel Gewalt oder Unehrlichkeit, steht in klarem Widerspruch zur Würde als Haltung.

Letztlich ist die Würde als Haltung eine existenzielle Entscheidung, eine Grundhaltung, die wir wählen können – oder eben nicht. Dabei steht sie auch nicht notwendig im Widerspruch zu anderen Haltungen, wie etwa jener der Tugend oder Ideologie. Jedenfalls nicht, wenn sie zu anderen Haltungen kompatibel ist. Denn genau diese Übereinstimmung mit uns selbst ist ganz wesentlich für das Konzept der Würde als Haltung.

Situative Haltungen – Anpassung an den Kontext

Die zuvor beschriebenen Haltungen beschrieben allesamt Grundhaltungen, weil sie dauerhafte Einstellungen bzw. Dispositionen einer Person sind und damit auch ein auf Dauer angelegtes Selbst- und Weltverhältnis prägen. Zu guter Letzt möchte ich noch auf eine andere Form der Haltung eingehen, den situativen, kontextabhängigen Haltungen.

Grundhaltungen, wie jene der Tugend, Ideologie oder Würde, sind konstante Elemente unserer personalen Identität und prägen unsere Interaktionen in vielfältigen Kontexten. Tugendhaft handle ich nicht nur in einem bestimmten Kontext. Für die Tugend ist es sogar ganz wesentlich, dass sie eine bestimmte Kontinuität aufweist, denn der tugendhafte zeichnet sich gerade durch seine Konstanz, durch seine Berechenbarkeit aus. Jemand weiß, wie der tugendhafte denkt und handelt und genau dies macht ihn einschätzbar und nicht beliebig. Ideologische Haltungen sind tief in unserem Bewusstsein und unserem Unterbewusstsein verankert. Es bedarf vieles, dass sich ideologische Grundhaltungen einmal ändern. Neben diesen Grundhaltungen gibt es aber auch situative Haltungen, die sich an bestimmten Gegebenheiten orientieren und entsprechend variabel sind.

Situative Haltungen sind an einen bestimmten Kontext gebunden und ermöglichen uns eine differenzierte Reaktion auf unterschiedliche Umstände und Ereignisse. Zum Beispiel: Bei einem Vorstellungsgespräch sitzt man aufrecht und zeigt Engagement, um Professionalität und Interesse zu signalisieren. In einem sportlichen Wettkampf nimmt der Mensch eine konzentrierte, vielleicht sogar aggressive Haltung ein, um Siegeswillen zu demonstrieren. Ein Boxer etwa nimmt eine Kampfhaltung ein. In einer Diskussion kann eine offene, zustimmende Haltung dazu beitragen, ein Klima des Vertrauens und des Respekts zu schaffen.

Situative Haltungen sind ebenfalls Werkzeuge, die uns helfen, effektiv und angepasst an bestimmte Situationen zu reagieren. Sie ergänzen unsere Grundhaltungen, indem sie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in unser Verhalten bringen. In diesem Sinne sind sie aber nicht losgelöst von unseren Grundhaltungen, sondern vielmehr eine Erweiterung oder Präzisierung derselben, je nach den Anforderungen des Moments. Denn, wie ich mich einer bestimmten Situation verhalte, ist eben auch dennoch auch ein Ausdruck meiner Grundhaltung.

Schlussteil

Mit dieser Arbeit habe ich versucht, den Begriff und das Konzept der Haltung aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Dabei bleibt Folgendes festzuhalten: Haltung ist nicht nur ein äußerst komplexes und vielschichtiges Konzept, sondern auch ein zutiefst existenzielles Phänomen, das untrennbar mit unserer menschlichen Existenz verknüpft ist. In der Haltung offenbart sich ein bewahrendes Element, ein inhärentes Spannungsverhältnis, das sowohl unsere individuelle Identität als auch unsere sozialen Beziehungen nachhaltig prägt. Sie ist ein komplexes Geflecht aus bewussten und unbewussten Einstellungen und Überzeugungen, das sich in verschiedenen Lebensbereichen manifestiert – sei es in Tugenden, Ideologien oder, wie erörtert, in der menschlichen Würde selbst. In der Haltung kristallisieren sich somit die ethischen, soziale und individuelle Dimensionen unseres Daseins. Sie ist das unsichtbare Fundament, auf dem wir stehen, und der Spiegel, der uns unser Selbst und unsere Beziehung zur Welt reflektiert.

[1] WEBER-GUSKAR, Eva, 2016. Würde als Haltung : Eine philosophisches Untersuchung zum Begriff der Menschenwürde. [Place of publication not identified]: mentis. ISBN 978-3-95743-880-5

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