Rechtsphilosophie: Woher kommt das Recht?
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Prolog zur Blogreihe: Woher kommt das Recht?
Eine Welt ohne Rechtsnormen erscheint für uns undenkbar, ist das Recht doch eng mit der Konstruktion des modernen Staates verbunden, wie wir ihn alle kennen. Der Begriff des Rechtsstaates betont die fundamentale Rolle, die Rechtsnormen in der Strukturierung staatlicher Autorität spielen. Er verdeutlicht, dass der Staat in seinen Handlungen durch das Recht gebunden und limitiert ist, was essentiell für die Aufrechterhaltung von Gerechtigkeit und Rechtsordnung ist. In jedem Aspekt unseres Lebens begegnen wir den Manifestationen des Rechts: Es regelt alles von Eigentumsrechten bis hin zu persönlichen Freiheiten und legt die Grundlagen für soziale und wirtschaftliche Interaktionen. Doch bei all dieser Omnipräsenz bleibt eine wesentliche, oft sogar mystisch anmutende Frage unbeantwortet: Woher kommt das Recht?
Diese Frage führt uns in das Spannungsfeld zwischen Geltung und Genese des Rechts. Die Geltung, die sich auf die Anerkennung und Anwendung von Rechtsnormen in einer Gesellschaft bezieht, ist vornehmlich Gegenstand der Rechtswissenschaft. Die Genese hingegen betrifft insbesondere die Rechtsphilosophie, die sich mit den Ursprüngen und der Entwicklung des Rechts sowie seiner Normen auseinandersetzt. Während die Jurisprudenz das bestehende Recht analysiert und interpretiert, erforscht die Rechtsphilosophie die tieferen, oft philosophischen Grundlagen, auf denen dieses Recht beruht.
Eine der grundlegendsten Theorien zur Erklärung der Genese des Rechts ist die Naturrechtslehre. Sie vertritt die Auffassung, dass das Recht aus universellen Prinzipien stammt, die außerhalb des Menschen liegen und entweder in der Natur selbst oder in einer göttlichen Ordnung verankert sind. Im Gegensatz zum positiven Recht, das vom Menschen gesetzt und zeitlich sowie kulturell gebunden ist, beansprucht das Naturrecht überzeitliche Geltung. Während menschlich geschaffene Gesetze dem Wandel der gesellschaftlichen, politischen und moralischen Normen unterliegen, gelten die Prinzipien des Naturrechts als unveränderlich und universell. Nach dieser Auffassung existieren das Recht und moralische Gesetze unabhängig von menschlichen Gesetzen und sind somit inhärente Eigenschaften der Welt an sich.
Eine Weiterentwicklung des Naturrechts findet sich im Vernunftrecht, wie es von Immanuel Kant formuliert wurde. Kant verlagert die Basis des Naturrechts vollständig auf die Vernunft. Er lehnt jede theologische und empirische Grundlage für das Recht ab. Für ihn ist das Recht eine Schöpfung der praktischen Vernunft, deren elementare Grundlage die universelle Freiheit ist. Vereinfacht ausgedrückt, wird die menschliche Vernunft hier zur natürlichen Quelle des Rechts, wodurch das Vernunftrecht in einem erweiterten Sinne mit dem Naturrecht verbunden bleibt.
Im Gegensatz dazu steht die „Historische Rechtsschule“ wie sie etwa von Friedrich Carl von Savigny vertreten wurden, die das Recht als das Ergebnis der historischen Entwicklung eines Volkes betrachtet. Diese Schule sieht das Recht als aus den gemeinsamen Gewohnheiten und Traditionen einer Kultur entstehend und durch das kollektive Bewusstsein einer Gesellschaft geformt. Die historische Rechtsschule betont die organische Entwicklung des Rechts im Laufe der Geschichte und lehnt die Idee ab, dass Recht durch reine Vernunft oder durch gesetzgeberische Akte geschaffen werden kann.
Eine ebenso empirische Position nimmt der Rechtspositivismus ein, der das Recht ausschließlich als menschliche Setzungen versteht, das durch die Autorität eines Staates in der Welt positiviert („positives Recht“ von lat. „ponere“, gesetzt) werden. Diese Sichtweise betont, dass Rechte und Gesetze ihre Gültigkeit aus der gesellschaftlichen Akzeptanz und der legislativen Macht ableiten, unabhängig von moralischen oder ethischen Überlegungen.
Diese verschiedenen Ansätze zur Genese des Rechts zeigen, dass unsere Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit tief in philosophischen, historischen und kulturellen Kontexten verwurzelt sind, deren Verständnis wesentlich ist, um die Komplexität und Dynamik der Rechtsentwicklung in unserer globalisierten Welt zu begreifen.
In dieser Blogreihe werde ich mich den rechtsphilosophischen Ansätzen zur Genese des Rechts widmen. Die einzelnen Artikel zur Reihe „Woher kommt das Recht“ werden hier verlinkt:
Die Naturrechtslehre: Das Recht als Ableitung aus höheren Prinzipien
Vernunftrecht: Kant und die kritische Rechtslehre
Die historische Rechtsschule und die Volksgeist-Theorie
Transzendentale Rechtskonstruktion: Johann Gottlieb Fichte
Rechtspositivismus: Hans Kelsen und das Recht aus der Ableitung aus der Grundnorm