Sinn in der Moderne: Warum uns die moderne Welt ratlos macht
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Sinn in der Moderne: Warum uns die moderne Welt ratlos macht
Wollte man das Leben in vergangenen Jahrhunderten grob charakterisieren, so fällt auf, dass harte Arbeit und ein direkter Bezug zu den Lebensgrundlagen den Alltag prägten. Der Einsatz von Körperkraft zum Überleben und die Einbettung in Gemeinschaften und Traditionen gaben vielen Menschen das Gefühl, in einen größeren Zusammenhang eingebunden zu sein. Auch wenn es alles andere als ein leichtes Leben war, entstand daraus oft eine unmittelbare Sinnhaftigkeit. Gleichzeitig gab es freilich auch zahlreiche Zwänge, Dogmen und Entbehrungen, die nicht selten zu Ausgrenzungen führten. Heute dient Arbeit zwar noch immer der Sicherung der Lebensgrundlage, ist jedoch zunehmend entkoppelt von ihrer ursprünglichen, existenziellen Funktion. Wir produzieren selten selbst Nahrung und stellen kaum einen direkten Bezug zwischen unserem Tun und dem unmittelbaren Überleben her. Stattdessen arbeiten wir oft in abstrakten Systemen, erstellen Tabellen, entwerfen Strategien oder entwickeln Maschinen – Tätigkeiten, deren konkreter Lebensbezug nicht immer spürbar ist. Mit dieser Abstraktion hat sich in der Moderne nicht nur die Arbeit verändert, sondern auch die Frage nach dem Sinn. Er muss – so scheint es – außerhalb des eigentlichen Tuns gesucht werden: in Reisen, Hobbys, Konsum oder in der sogenannten „Selbstverwirklichung“. Sobald die Grundbedürfnisse erfüllt sind, tritt das Sinnerleben mitunter als zusätzlicher „Luxus“ in Erscheinung.
Das Leben „damals“ war jedoch keineswegs automatisch sinngefüllt. Dennoch verschafften der enge Bezug zur existenziellen Arbeit, die Einbettung in Gemeinschaft und Glauben sowie der Rhythmus der Natur vielen Menschen ein greifbares Gefühl von Sinn. Die moderne Welt hingegen eröffnet uns eine fantastische Fülle an Möglichkeiten – und genau das kann uns ratlos machen. Vielleicht verschärft sich die Sinnfrage gerade in unserer Gegenwart, weil Wahlfreiheit und Überfluss ebenso Orientierung bieten wie sie uns überfordern.
Sinn in der Moderne: Die Illusion eines käuflichen Sinns
In unserer konsumorientierten Welt wird uns Sinn gefühlt an jeder Ecke angeboten. Bücher, Seminare, Produkte und Dienstleistungen werden nur selten für das beworben, was sie faktisch sind, sondern fast immer für das, was sie uns versprechen: Bedeutung, Erfüllung, Sinn. Das Smartphone soll uns „verbinden“, die Reise verspricht Erholung und tiefere Einsichten, und das Streaming-Abo lockt mit vergnüglicher Unterhaltung.
Doch ist all das wirklich Sinn, oder eher eine Ablenkung von der eigentlichen Sinnsuche – eine moderne Illusion, die uns glauben lässt, wir könnten uns Sinn einfach erkaufen? In der Tat verliert man manchmal aus dem Blick, dass echte Erfüllung sich nicht an einem Preisschild festmachen lässt. Während der Sinn in einer existenzielleren Lebensführung oft „mit im Tun“ lag – etwa beim Bau des eigenen Hauses oder im gemeinschaftlichen Bestellen der Felder –, wird er heute gelegentlich wie eine Ware behandelt, die man erwirbt, um ein kurzes Empfinden von Sinnhaftigkeit zu erlangen.
Aber das alles ist eine Fata Morgana. Die moderne Welt verkauft uns Sinn, doch was wir erhalten, ist nichts weiter als eine Spiegelung unserer eigenen Sehnsucht. Solange wir ihn im Konsum suchen, bleiben wir in einem Kreislauf gefangen: arbeiten, kaufen, hoffen – aber nicht so wirklich ankommen.
Sinn in der Moderne: Die Sehnsucht nach Halt in einer grenzenlosen Welt
Diese Entwurzelung und Ratlosigkeit spiegeln sich in einer tiefen Sehnsucht nach Halt wider, die viele Menschen heute empfinden. Die Abstraktheit und Zersplitterung der modernen Welt treiben uns dazu, Orientierung zu suchen – oft in vermeintlich „traditionellen“ Kontexten. So versprechen rückwärtsgewandte Bewegungen, sei es in Form von Nationalismus, völkischen Gruppierungen oder romantisierter Nostalgie, die Wiederherstellung eines klaren Sinns, wie er einst vor dem Hintergrund des Glaubens in Geschichte, Gemeinschaft und Tradition verankert war
Die moderne Welt bietet zwar unendliche Möglichkeiten, aber genau darin liegt auch ihre Bürde. Ohne klare Strukturen, die unser Leben leiten, wird Sinn zu einer Aufgabe, die wir selbst lösen müssen. Der Verlust von Religion, existenzieller Arbeit und Gemeinschaft führt dazu, dass viele Menschen sich nach einem Leben sehnen, das durch diese Elemente geprägt war – auch wenn die Realität dieses Lebens oft mühsamer war, als wir es uns heute vorstellen.
Es ist daher kein Zufall, dass Bewegungen, die auf nationale Identität, Tradition und das Kollektiv setzen, in der modernen Welt Anziehungskraft besitzen. Sie bieten vermeintliche Antworten auf die Frage nach dem Sinn und knüpfen an eine Zeit an, in der das Leben zwar härter, aber auch klarer war. Doch ob diese Antworten wirklich geeignet sind, den Sinn zu füllen, den die Moderne verloren hat, bleibt fraglich.
Die Freiheit, Sinn zu schaffen – und die Rückkehr zum Glauben
Die Moderne nimmt uns einerseits vorgegebene Sinnmuster und Sicherheiten, aber sie gibt uns auch die Freiheit, Sinn selbst zu definieren. Diese Freiheit ist anspruchsvoll und kann überwältigen, eröffnet aber Möglichkeiten: Wir können Sinn in zwischenmenschlichen und familiären Beziehungen finden, vielleicht in der Fürsorge für Kinder, Tiere, die Umwelt oder in irgendeinem anderen Tun, das über den reinen Broterwerb hinausgeht.
Dennoch mag all dies für manche nicht ausreichen. Vielleicht liegt die tiefste und höchste Form der Sinngebung nicht in rein menschlichen Konzepten, sondern in einer Rückkehr zu einem Glauben, der über das Weltliche hinausweist – einem Glauben, der Sinn nicht nur anbietet, sondern ihn gewissermaßen selbst verkörpert. Wenn die Moderne uns ratlos macht, könnte das Vertrauen in etwas Größeres oder Göttliches eine Rettung sein, verstanden als eine lebendige Verbindung zu einem Sinn, der über individuelle Freiheit und materiellen Überfluss hinausgeht.
Vielleicht liegt die Antwort auf die Sinnfrage also nicht im Streben nach mehr, sondern in der Rückkehr zum Einfachen – in der Verbindung zu uns selbst, zu anderen und zu einem Größeren, das uns trägt. Denn das Leben ist, wie Albert Camus sagt, „absurd“ – und ohne den Glauben bleibt es am letzten Ende sinnlos.
Externe Links:
Bundeszentrale für politische Bildung: Religiosität und Sinnsuche in modernen Gesellschaften
Wikipedia: Konsumgesellschaft
Interne Links:
Existenzielle Leere: Zwischen Sehnsucht und Erfüllung
Das Salz des Lebens – und warum wir heute alles versalzen
Was ist Sinn? Eine existenzphilosophische Betrachtung