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Kierkegaard und das „Geschwätz“: Unauthentische Kommunikation
Lesedauer 6 Minuten Unauthentische Kommunikation: Kierkegaard und das „Geschwätz“ Kopenhagen in den 1830er Jahren. Eine Stadt wie ein Gemälde. Volle Gassen und lebhafte Marktplätze prägten das Stadtbild dieses traditionsreichen Handelszentrums. In dieser pulsierenden Stadt, die sich zwischen Tradition und Fortschritt bewegte, begann der junge Sören Kierkegaard seine endlose Suche nach der Bedeutung des individuellen Lebens. Er war bekannt dafür, als Beobachter und Zuhörer durch die Straßen zu ziehen. Was er dort erlebte, hielt er oft in Tagebüchern fest. Eine Sache, die ihm dabei auffiel, war das „Geschwätz“ der Leute. Dieses „Geschwätz“, ein ununterbrochenes Strömen oberflächlicher Konversationen, die kaum persönliche oder tiefgründige Themen berühren und so die Einzigartigkeit jedes Einzelnen vernachlässigen,…
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Gesetz ist Vernunft frei von Leidenschaft
Lesedauer 4 Minuten Das Gesetz: Leidenschaftslose Vernunft? Gesetz ist Vernunft frei von Leidenschaft Aristoteles Das Zitat „Gesetz ist Vernunft, frei von Leidenschaft“ wird oft Aristoteles zugeschrieben, obwohl ich bislang keine direkte Quelle finden konnte. Für mich bleibt es ein mystisches Zitat. Was damit nämlich konkret gemeint sein soll, ist mir bisher nie ganz klar geworden. Handelt es sich um ein normatives Ideal oder beschreibt es eine vermeintliche Tatsache? In beiden Fällen wirft dieses Zitat jedenfalls eine interessante Frage auf. Durch was sind Gesetze motiviert? Gesetz als Vernunfttatsache Man könnte sagen, Gesetze bieten eine systematische Ordnung und Struktur für das gesellschaftliche Zusammenleben. Diese Ordnung basiert sicherlich auf rationalen Prinzipien, die darauf…
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Aristoteles Ethik: Zeitlose Einsichten für die moderne Welt
Lesedauer 7 Minuten Nikomachische Ethik – Zeitlose Einsichten für die moderne Welt Was soll uns eine Ethik helfen, die fast 2.500 Jahre alt ist? Die Antwort ist so einfach wie überzeugend: Die dahinterliegenden Fragen sind schlichtweg zeitlos. Aristoteles diskutiert in der Nikomachischen Ethik Konzepte wie Tugend, das Gute und Gerechtigkeit. Diese Themen sind universell und sprechen grundlegende Fragen an, die in jeder Gesellschaft und zu jeder Zeit relevant sind. Auch heute streben Menschen danach, ein gutes und erfülltes Leben zu führen – und genau diese Überlegungen stellt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik an. Aristoteles Ethik: Das Streben nach Glück Auch wenn wir täglich mit vielerlei Dingen zu tun haben, schwebt…
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Praxis und Poiesis: Aristoteles
Lesedauer 6 Minuten Aristoteles: Praxis vs. Poiesis und was das alles mit persönlichem Glück zu tun hat Innovation, Effizienz, Produktivität und ein ständiger technologischer Wandel sind zweifelsohne dominante Kräfte unserer Zeit – und sie haben weitreichenden Einfluss auf unser Handeln. Denn es liegt nahe, dass das vorherrschende Effizienz- und Produktivitätsdenken aber auch der hohe Beschleunigungsgrad unserer modernen Welt dazu tendiert, Aspekte des Lebens, die sich nicht direkt in Zahlen ausdrücken oder materiellen Erfolg versprechen, zu marginalisieren oder abzuwerten. Wer seine Zeit mit „unproduktivem“ verbringt, hat leicht ein schlechtes Gewissen und steht schnell im Verdacht seine Zeit nicht „sinnvoll“ zu nutzen. In diesem Zusammenhang interessant, finde ich Aristoteles Unterscheidung von Poiesis…
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Das Dionysische bei Nietzsche: Praktische Konsequenzen
Lesedauer 8 Minuten Praktische Konsequenzen aus Nietzsches Philosophie: Das Dionysische und das Apollinische Seit längerem beschäftigt mich die Frage, was eigentlich konkret die praktischen Implikationen sind, die sich aus Nietzsches Konzepten des Apollinischen und des Dionysischen ergeben. Schließlich fordert uns Nietzsche zur „Umwertung aller Werte“ und dazu auf, uns von der christlich-jüdischen „Sklavenmoral“, auch „Herdenmoral“ genannt, zu befreien. Im Folgenden soll es also darum gehen, was es bedeutet, Nietzsches Konzepte, das dionysische und das apollinische als existenzielle menschliche Erfahrungen anzuerkennen und sie in die Praxis umzusetzen. Nietzsches Konzept Die menschliche Existenz ist voller Widersprüche. Einen ganz wesentlichen Widerspruch beschreibt Nietzsche mit den Begriffen das „Apollinischen“ und des „Dionysischen“. Gemeint sind…
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Liminalität: Victor Turner – die transformative Kraft von Ritualen
Lesedauer 6 Minuten Victor Turner: „Liminalität“ und die transformative Kraft von Ritualen Im letzten Artikel habe ich mich mit der sozialen Funktion des Rituals auf der Grundlage der Überlegungen von Émile Durkheim beschäftigt. Während Durkheims Fokus auf der gesellschaftlichen Konstitution und Stabilität liegt, zeichnet hingegen Victor Turner ein dynamisches Bild der Gesellschaft und beschäftigt sich mit der Liminalität und der transformativen Kraft des Rituals. In den 1950er Jahren erforschte er als Feldforscher in Afrika die rituellen Praktiken der „Ndembu“, insbesondere deren Heilungs- und Initiationsrituale. Diese Rituale, die Krankheiten und Unglück abwehrten und soziale Konflikte lösten, zeigten ihm die wichtige Rolle von Ritualen bei der Aufrechterhaltung sozialer Ordnung und im Umgang…
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Funktion von Ritualen – Émile Durkheim
Lesedauer 7 Minuten Émile Durkheim: Die soziale Funktion von Ritualen Rituale sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Die meiste Zeit, dieser langen Geschichte, stand das Ritual im Kontext des Religiösen und Kultischen. Trotz der ungeheuren Vielfalt bekannter historischer und zeitgenössischer Riten in den unterschiedlichsten Kulturen, sticht vor allem eine universelle Eigenschaft heraus: Rituale sind eine soziale menschliche Praxis. Der französische Soziologe Émile Durkheim (1858-1917) vertrat gar die Auffassung, dass die Funktion von Religion und Ritualen überhaupt und vor allem sozial bedingt ist. Für Durkheim sind Religionen in erster Linie gesellschaftliche Phänomene, die dazu dienen, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten und zu stärken, indem sie ein gemeinsames Glaubens- und Wertesystem…
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Freiheit im Stoizismus
Lesedauer 5 Minuten Freiheit im Stoizismus – Eine Paradoxie zwischen Freiheit und Determination „Der Stoiker ist auf dem Throne so in den Fesseln frei“ Der Stoizismus und die Freiheit ist eine paradoxe Angelegenheit. Das Bild des Stoikers, der gleichermaßen auf dem Thron und in den Fesseln Freiheit verkörpert, fängt das Wesentliche einer tiefen philosophischen Auseinandersetzung ein: Wie kann man in einer Welt, die von unveränderlichen Gesetzen und einer vorbestimmten Ordnung dominiert wird, wahrhaftig frei sein? Die Antwort der Stoiker auf diese Frage ist ebenso faszinierend und unerwartet, wie komplex. Freiheit, in seiner weitreichendsten Interpretation, bedeutet mehr als nur politische Zugehörigkeit oder die Freiheit der Bewegung innerhalb einer Gemeinschaft. Von der…
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Authentizität und Konformität
Lesedauer 8 Minuten Authentizität vs. Konformität: Ein universelles existenzielles Spannungsverhältnis Frankreich,1429. Während der dunkle Schatten des Hundertjährigen Krieges über dem Land liegt, entsteht aus den Tiefen der Verzweiflung eine Gestalt, die gegen jede Erwartung das Schicksal einer Nation zu wenden vermag. Eine einfache Bauerntochter, getrieben von einer Vision und dem unbeugsamen Glauben an ihren göttlichen Auftrag. Jeanne d’Arc, eine junge Frau, die zum Inbegriff des Kampfes gegen Unterdrückung und für die Freiheit wird. Mit nichts als ihrem Glauben und einem unerschütterlichen Willen ausgestattet, löst sie sich als Frau gegen jeden Widerstand von den Fesseln der Konformität ihrer Zeit und führt ihre Landsleute gegen eine scheinbar übermächtige Besatzungsmacht zum Sieg. Aber…
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„Gegenwärtigkeit“ in Existenzialismus, Stoizismus und Achtsamkeit
Lesedauer 8 Minuten Die Tiefe des Moments und warum wir uns nicht zu sehr um die Zukunft sorgen sollten „Ich habe in meinem Leben viele Katastrophen erlitten, einige davon sind sogar eingetreten.“ Mark Twain Dieses ironische Zitat von Mark Twain verdeutlicht eine interessante menschliche Neigung – die Tendenz nämlich, sich intensiv mit Sorgen über die Zukunft zu beschäftigen, selbst wenn viele der Befürchtungen in Wirklichkeit nie eintreten werden. Gerade in dieser heutigen, sich schnell wandelnden Zeit, in der auch die Zukunft immer unsicherer erscheint ist es ein humorvoller aber zugleich auch mahnender Hinweis. Zu dem Gefühl einer unsicheren Zukunft, gesellt sich ein scheinbar grenzenlos erscheinender Horizont an Möglichkeiten, der uns…