"Das Nichts"
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Philosophie

Nichts gibt es nicht

Lesedauer 7 Minuten

Nichts gibt es nicht

Der Idealismus würde behaupten: Erst durch das Denken, erschafft der menschliche Geist die Gegensätze. Dualismen wie „Leib vs. Seele“ (oder „Geist vs. Materie“), „Gut vs. Böse“, „Chaos vs. Ordnung“, „Natur vs. Kultur“, „heilig vs. profan“ oder „Sein vs. Nichts“ wären demnach Konstruktionen unseres Geistes. Wenn man nicht gerade metaphysischer Solipsist ist und davon ausgeht, dass man sich nur des eigenen Ichs gewiss sein kann, würden wohl die meisten zustimmen, dass es eine materielle Welt, die Realität (von lat. res, Materie) gibt. Der Leib scheint real zu sein. Ebenso der Stuhl auf dem ich gerade sitze und in meinem Nachbargarten, das, was wir als Baum bezeichnen. Es scheint alles da zu sein. Vermissen Sie eigentlich etwas? Etwa das Nichts?

Wo ist das Nichts?

Sagen wir, „Hier ist nichts!“, dann meinen wir, dass etwas Bestimmtes, ein Ding etwa in einer Schublade, in der wir nachgesehen haben, nicht auffindbar ist oder ein Monster im Schrank, vor dem meine Kinder Angst haben, nicht da ist. Aber natürlich ist überall da „etwas“, aber eben nicht das vermutete oder erwartete. Genauso, wenn wir in die Dunkelheit schauen. Jeder weiß, dass da etwas ist, nur dass wir es mangels Licht nicht sehen können. Ähnlich verhält es sich mit der Aussage „Hier gibt es nichts zu sehen“. Aber natürlich gibt es irgendwas zu sehen. Die Aussage „Ich habe nichts gemacht“ soll jemandem glauben machen, dass ich nicht auf eine bestimmte, unterstellte Weise gehandelt habe. „Es kam aus dem Nichts“ soll zu verstehen geben, dass etwas überraschend auftauchte. Aber in allen Fällen, ist da nie wirklich Nichts.

Aber auch physikalisch ist das Nichts kaum haltbar. Irgendwas ist immer da. Selbst die Bezeichnung „leerer Raum“ ist nicht ganz richtig. Ein Vakuum etwa ist kein leerer Raum. Es ist zwar nicht viel drin, aber es entstehen Quantenfluktuationen. Kleine Teilchen, die aus dem Nichts entstehen. Hoppla. Aus dem Nichts. Wirklich aus dem Nichts? Auch diesen Zahn hat die Quantenfeldtheorie gezogen. Jedenfalls, wenn sie die Realität tatsächlich korrekt beschreibt. Diese besagt nämlich, dass die ganze Welt, das gesamte Universum von einem – sagen „unsichtbaren Feld“ – durchzogen ist.[1] Man kann also sagen, dass selbst dort, wo wir das Nichts erwartet hätten, kein Nichts aufzufinden ist. Das Nichts scheint sich demnach gut zu verstecken, denn wir haben das Nichts gesucht – gefunden haben wir immer nur Etwas.

Das Nichts gibt es nicht?

Für den ontologischen Realisten wäre das Nichts eine real existierende Entität. Was man sich dann aber fragen darf ist, ob es dann überhaupt Nichts wäre, oder eher doch etwas, weil es ja existiert? Das ist paradox: Wenn das Nichts existiert, dann ist es etwas – und kann damit nicht mehr Nichts sein. Wobei diese Argumentation wie ein Taschenspielertrick wirkt, weil das Nichts allein durch die bloße begriffliche Behauptung seiner Existenz, zu „etwas“ wird ( zu „das Nichts“). Sagen wir es also besser so: Das „Nichts“ sei ein Begriff, der das völlige Fehlen von jeglichem beschreibt.

Sprachlich ist das allerdings nicht ganz unproblematisch, da der Begriff des Nichts zwangsläufig durch Sprache vermittelt ist. Unser Denken basiert auf Begriffen und auf Bedeutungen, im Falle des Nichts aber, soll etwas bezeichnet werden, was sich gerade jeder Beschreibung entzieht. Allerdings ist gerade die Sprache ja bereits „Sein“, und eben kein Nichts. Wäre Sprache nichts, dann wäre sie nicht vorhanden, denn die Sprache ist notwendig an das Sein geknüpft. Sprechen wir über das Nichts, dann sprechen wir, wenn man genau hinsieht, von etwas, wovon weder gesprochen noch gedacht werden kann. Sobald wir es nämlich denken, haben wir es bereits durch etwas ersetzt – mit einer Vorstellung, einem Begriff, einem Zeichen. Folgt man diesem Gedanken konsequent, dann bleibt das Nichts schlicht undenkbar.

Wir haben also das Nichts bisher weder gefunden noch, so scheint es, kann es weder gedacht nicht gesprochen werden.

Ist das Nichts eine geistige Konstruktion?

Wenn das Nichts keine ontologische Realität ist, also nirgendwo in der Welt zu finden ist, dann ist es wahrscheinlich eine anti-realistische oder genauer eine konzeptualistische oder nominalistische Denknotwendigkeit. Haben also die Idealisten recht? Das Nichts existiert nicht unabhängig von unserem Denken. Ist es nur eine gedankliche Setzung oder gar eine Illusion?

Nach Kant erkennen wir die Welt nicht, wie sie an sich ist, sondern nur, wie sie uns erscheint. Uns erscheint das Nichts – etwa in der Dunkelheit oder der Stille –, doch was wir erleben, ist nie wirklich „nichts“. Dunkelheit ist das Fehlen von Licht, Stille das Fehlen von Schall, aber nicht das Fehlen von Sein. Das Nichts ist also keine objektive Realität, sondern eine Konstruktion unserer Wahrnehmung – es entsteht, weil unser Denken das Fehlende als „Nichts“ deutet.

Brauchen wir etwa das Nichts, um über das Sein nachzudenken? Ist es der notwendige theoretische Gegensatz, damit wir die bekannte Frage: „Warum gibt es alles und nicht nichts?“ stellen können? Oder ist es nur eine kognitive Illusion, geboren aus der menschlichen Erfahrung eines Mangels?

Heidegger und das „Nichts“ als existenzieller Hintergrund

Martin Heidegger entwirft in Was ist Metaphysik? die provokante These: „Das Nichts nichtet.“ Er betont damit, dass das Nichts keine bloße Negation oder Abwesenheit eines Etwas ist, sondern ein fundamentales Hintergrundphänomen, das sich besonders in der Stimmung der Angst zeigt. Dort, wo alle konkreten Seienden zurücktreten, werde das „Nichts“ spürbar als der Horizont, vor dem das Sein in seiner Gesamtheit überhaupt erst sichtbar werden kann.
Heidegger macht aber auch klar, dass das Nichts kein Gegenstand in einem üblichen Sinne ist: Es ist nicht empirisch auffindbar oder logisch ableitbar und entzieht sich damit jeder objektiven Erforschung. Insofern widerspricht Heideggers Auffassung nicht der Idee, dass das Nichts für unser gewöhnliches Denken und Erfahren unerreichbar bleibt. Vielmehr bleibt es ein existenzielles „Hintergrundgeschehen“, das sich jeglichem Nachweis als „Ding“ entzieht.

So betrachtet widerspricht Heideggers Auffassung vom „Nichts“ nicht der Einsicht, dass wir es nie als eigenständige Seinsweise erfahren können. In einer Grenzerfahrung wie der Angst spürt unser Bewusstsein vielmehr den Entzug aller Dinge – und das nennen wir „Nichts“. Für Heidegger bleibt es damit ein existenzieller Hintergrund, der sich jeder begrifflichen Erfassung entzieht. Damit trifft er sich mit Denkern wie Baruch de Spinoza, der schon betonte, dass ein absolutes Nichts nicht existieren könne, weil alles Sein ist.

Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage

Der Satz den Hamlet beschäftigte, indem er sich die Frage stellt, ob er trotz seiner Todessehnsucht leben oder sterben soll, kann uns auf der Suche nach dem Nichts behilflich sein. Denn wir können ja sagen, dass unser Tod ein „Nichts“ erzeugt, weil wir dann ja nicht mehr existieren – jedenfalls nicht mehr als menschliches Wesen. Aber aus der Nähe betrachtet, entsteht auch hier kein wirkliches Nichts – sondern lediglich eine Umwandlung von Sein.

Hamlets Frage nach Sein oder Nichtsein scheint zunächst eine Wahl zwischen Sein und Nichts zu sein. Doch genau genommen geht es auch hier nicht um ein absolutes Nichts, sondern um eine Transformation – vom Leben in den Tod, vom bewussten Dasein in ein unbewusstes Nicht-mehr-Sein. Doch auch dieses „Nichtsein“ bleibt am Ende etwas: Materie vergeht, zerfällt, geht in andere Formen über. Auch hier zeigt sich: Das absolute Nichts bleibt unauffindbar.

Das Nichts als subjektive Erfahrung

Nun haben wir das Nichts gesucht, aber nicht gefunden. Es scheint kein physikalisches oder ontologisches Nichts in der Welt zu geben. Trotzdem haben wir das Gefühl, dass ein „Nichts“ existiert. Gehen wir in einen Raum, in dem es stockdunkel ist, sagen wir „ich kann nichts sehen“. Was wir aber sehen ist nicht das Nichts, sondern kein Licht. Gemeint ist also vielmehr „ich sehe kein Licht“. Kulturell ist das Nichts oft mit absoluter Dunkelheit oder Schwärze verbunden. Stellen Sie sich das Nichts vor, dann stellen sie sich wahrscheinlich ein vollständiges Schwarz vor. Absolute Dunkelheit ist also kein Mangel an Sein, sondern ein Mangel an Licht. Das aber zeigt, dass unsere Vorstellung von Nichts durch unsere Sinneswahrnehmung geprägt ist.

Wenn etwas da war und dann fehlt, erleben wir das ebenfalls als Nichts. Das aber ist nur eine sprachliche Konstruktion. Es beduetet nur, dass wir etwas nicht mehr wahrnehmen können. Ein leerer Raum ist nicht wirklich leer, wir nehmen nur nicht alles wahr. Damit können wir sagen, dass das Nichts nicht an sich existiert, sondern nur als menschliche Erfahrung. Es entsteht, weil unser Bewusstsein Lücken und Abwesenheiten füllt – sei es mit etwas aber eben auch mit Nichts.

Nichts gibt es nicht“: Das Nichts als absolute Grenze menschlicher Erfahrung

Das Nichts ist nicht nur unauffindbar in der Welt – es ist auch unzugänglich für unser Denken. Kant unterscheidet zwei grundlegende Arten von Erkenntnis. A posteriori ist die Erkenntnis, die auf Erfahrung basiert. Wir erkennen die Welt durch unsere Sinne – durch Sehen, Hören, Fühlen – und ziehen daraus Schlüsse. A priori hingegen ist die Erkenntnis, die unabhängig von Erfahrung existiert, Grundstrukturen unseres Denkens, die der Welt vorausgehen, wie Raum, Zeit, Kausalität, logische Prinzipien oder mathematische Sätze. Dass etwa 2 + 2 = 4 ist, ist eine Wahrheit, die nicht aus der Erfahrung stammt. Wir müssen nicht in die Welt hinausgehen und überprüfen, ob sie stimmt.

Das Nichts allerdings, passt zu keiner dieser Kategorien.  Es ist keine a posteriori-Erfahrung, weil wir das absolute Nichts niemals wahrnehmen können. Alles, was wir sehen oder fühlen, ist immer etwas – selbst Dunkelheit ist nur das Fehlen von Licht, nicht das Fehlen von Sein. Es ist auch kein a priori-Begriff, weil es nicht zu den fundamentalen Strukturen unseres Denkens gehört. Wir können nur über das Sein nachdenken, weil unser Denken immer etwas setzt. Das Nichts als reiner Gedanke bleibt unmöglich. Das Nichts ist mit dem Sein einfach nicht verträglich.

So ist das Nichts weder ein Gegenstand der Erfahrung noch eine notwendige Kategorie unseres Denkens – es ist die absolute Grenze der Erkenntnis. Sobald wir versuchen, es zu denken, bleibt uns nur eine Leerstelle, ein Abgrund im Verstehen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang Kants kurze Systematik des „Nichts“ (in der Kritik der reinen Vernunft, Transzendentale Analytik, S. 403):

  1. Nihil privativum (etwas bloß Entzogenes oder Fehlendes, z.B. Dunkelheit als Mangel an Licht),
  2. Nihil negativum (logisch Unmögliches oder ein Widerspruch),
  3. Ens imaginarium (bloß Eingebildetes) und
  4. Nihil purum (leere, formale Anschauung, ohne realen Gehalt).

Keine dieser Varianten aber beschreibt ein absolutes Nichts, es geht vielmehr jeweils um eine relative Abwesenheit oder Widerspruch. Für Kant ist das Nichts somit kein positiver, eigenständiger Gegenstand oder eine Grundkategorie wie Raum oder Zeit. Es ist vielmehr ein Grenz- oder Negationsbegriff, der immer nur in Bezug auf ein fehlendes Etwas gedacht wird.

Damit bleibt das Nichts das, was sich stets entzieht – in der Welt, in der Sprache, im Denken. Vielleicht ist das die letzte Wahrheit über das Nichts: Es gibt es nicht. Es kann es nicht geben. Oder um es mit Parmenides zu sagen: „Was ist, ist, und was nicht ist, ist nicht“. Oder ganz einfach:

Nichts gibt es nicht!


Literatur:

[1] https://www.spektrum.de/video/alles-schwingt-quantenfelder-sind-die-grundlage-unserer-welt/1560068, abgerufen am: 24.02.2025

Heidegger, M. (2006). Was Ist Metaphysik? Verlag Vittorio Klostermann.

Kant, I. (2022). Kritik der reinen Vernunft (Redaktion Gröls-Verlag, Hrsg.). Grols Verlag.


Externe Links

Stanford Encyclopedia of Philosophy: Nothingness

Spektrum.de/ Astronomie: Gibt es das Nichts?

Interne Links:

Heidegger: Das „Man“ und das ständige Ringen um Authentizität und Konformität

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