Wahl
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Existenzphilosophie

Die Bedeutung der „Wahl“ für ein authentisches Leben

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Lesedauer 7 Minuten

In der Existenzphilosophie Kierkegaards ist die „Wahl“ ein zentrales Element menschlichen Daseins. Ihre Bedeutung erstreckt sich weit über die alltäglichen Entscheidungen des Lebens, die oftmals determiniert, emotional oder aus direkten Impulsen entstehen. Für Kierkegaard war die „Wahl“ Ausdruck menschlicher Freiheit. Sie ist eng verknüpft mit der Idee des „Entwerfens“ unseres eigenen Lebens, einer aktiven Gestaltung und Bestimmung unseres Daseins jenseits äußerer Determinanten und Zufälligkeiten.

Dieser Essay ist eine Reflexion über den Begriff der „Wahl“ im Hinblick auf das Streben nach einem authentischen Leben und in Anlehnung an Kierkegaards Philosophie. Wie jedes philosophische Konzept kann auch dieses kontrovers gesehen werden, doch es lädt vor allem zur persönlichen Reflexion ein. Was man daraus für sich mitnimmt, bleibt jedem selbst überlassen.

Marc-Anthony Widmann

Die Bedeutung der „Wahl“ für ein authentisches Leben

Täglich treffen wir eine Vielzahl von Entscheidungen, seien sie groß oder klein. Ob wir entscheiden, was wir essen, wann wir schlafen oder früher aus dem Büro gehen oder einen alten Freund anrufen – oft folgen diese Entscheidungen unseren gegenwärtigen Bedürfnissen, direkten Impulsen oder situativen Faktoren. Während einige dieser Entscheidungen spontan und aus dem Moment heraus getroffen werden, können andere durchaus auch eine Überlegung beinhalten, jedoch meist nicht mit der Tiefe, die charakteristisch für eine Wahl ist. Eine solche Wahl erfordert eine sorgfältige Abwägung von Möglichkeiten im Lichte unserer tiefsten Wünsche und Werte.

Das Wesen der Wahl

Die Wahl hat eine tiefere, gewichtigere Qualität, die weit über den spontanen Impuls oder die kurzfristige Entscheidung hinausgeht. Sie berücksichtigt nicht nur den gegenwärtigen Moment, sondern auch die langfristigen Auswirkungen und Konsequenzen unserer Handlungen. Dies wird besonders deutlich, wenn wir über fundamentale Aspekte unseres Lebens wie unseren Lebensstil, unsere Beziehungen, Berufung, Bildung und Freizeitgestaltung nachdenken.

Es ist ein Akt des bewussten Entscheidens, der oft eine innere Auseinandersetzung und Reflexion erfordert. Beispielsweise kann die Entscheidung, einem bestimmten Bildungsweg zu folgen oder bestimmte Freundschaften zu pflegen, das Ergebnis intensiver Überlegungen darüber sein, was uns im Leben wirklich wichtig ist und wie wir unser Potenzial am besten entfalten können.

Es geht bei der Wahl nicht nur um das, was in dem gegebenen Moment als das Beste oder Bequemste erscheint, sondern um eine tiefere Abwägung darüber, welcher Weg uns langfristig zu einem erfüllteren und authentischeren Leben führen wird.

Alltagsbeispiele – von der Buchauswahl über die Pizza zur Menüwahl

Wenn wir in einem Buchladen stehen und ein Buch auswählen, entscheiden wir vielleicht danach, welches Cover uns anspricht, welches Genre uns zuletzt fesselte oder welche Buchbeschreibung uns in diesem Moment am meisten fasziniert. Solche Entscheidungen basieren oft auf spontanen Eindrücken oder aktuellen Launen. Sie könnten als determiniert betrachtet werden, da sie durch momentane Zustände, Bedürfnisse oder Stimmungen beeinflusst werden. Auch wenn es „Buchwahl“ genannt wird, handelt es sich doch nur um eine Entscheidung darüber, welches Buch wir lesen möchten.

Nehmen wir als nächstes Beispiel die Entscheidung, heute Abend Pizza zu essen, weil wir gerade Appetit darauf haben. Doch die Wahl, uns langfristig gesünder zu ernähren, verlangt, unsere Essgewohnheiten zu überdenken und einen Plan zu entwickeln, um dieses Ziel zu erreichen.

Wenn ein Kellner eines guten Restaurants an unseren Tisch tritt und fragt, ob wir „gewählt“ haben, mag es übertrieben klingen. In Wirklichkeit möchte er lediglich wissen, für welches Gericht wir uns „entschieden“ haben. Aber dass er sich für den Begriff der „Wahl“ entschieden hat, erinnert uns daran, dass die Wahl einen besonderen Stellenwert hat, etwas Besonderes, etwas Hervorgehobenes, wie das Gericht, das er uns servieren möchte.

Die Bedeutung der „echten Wahl“

Die „echte Wahl“ erfordert vor allem eines: Mut. Und zwar deshalb, weil die Wahl inmitten von Unsicherheit und Risiko, die Übernahme von Verantwortung und das Annahmen von Konsequenzen erfordert. Sie steht für einen langfristigen Plan, einen Entwurf, eine bewusste Festlegung auf einen Weg, um fundamentale Aspekte unseres Lebens. Sie ist dabei nicht nur eine äußere Handlung, sondern eine tiefgreifende innere Entscheidung, die im Einklang mit unserem authentischen Selbst stehen sollte. Eine Wahl, die nicht von äußeren Erwartungen oder Konventionen getrieben ist, sondern von einem tiefen inneren Verlangen und der Suche nach Bedeutung.

Unser Lebensstil beispielsweise sollte mehr als nur eine äußere Erscheinung sein; er sollte ein Spiegelbild unserer innersten Werte und Entscheidungen sein. Statt einfach den Trends oder dem sozialen Druck zu folgen, erfordert die „echte Wahl“ eine bewusste Entscheidung darüber, was für uns persönlich sinnvoll und erfüllend ist

In Beziehungen sei es zur Familie, Freunden oder einem Lebenspartner, ist es allzu einfach, sich aus Komfort oder aus Angst vor dem Alleinsein zu binden. Doch die echte, tiefere Wahl offenbart sich in der aktiven Entscheidung, welche Beziehungen wir wirklich pflegen und vertiefen möchten, basierend auf gegenseitigem Respekt, Verständnis und gemeinsamen Werten. Im Kontext eines Lebenspartners zeigt sich diese Wahl beispielsweise darin, sich zu einer Person zu bekennen, weil man in ihr einen wahren Partner sieht und bereit ist, die Unannehmlichkeiten und Herausforderungen zu akzeptieren, die mit einer tiefen Bindung einhergehen. Bei Freundschaften hingegen bedeutet es, bewusst diejenigen auszuwählen, die einen positiven Einfluss auf unser Leben haben und die gleichen Werte teilen, anstatt sich nur von Momenten und Zufälligkeiten leiten zu lassen.

Unsere Berufswahl sollte mehr widerspiegeln als nur das Bestreben, entlohnt zu werden. Es geht darum, eine Tätigkeit zu finden, die unsere Leidenschaft weckt und mit unseren innersten Überzeugungen und Werten harmoniert. Anstatt blindlings einem vorgegebenen Pfad zu folgen, sollten wir uns tiefgehend damit auseinandersetzen, was uns wirklich erfüllt und im Beruf einen Sinn stiftet. Andernfalls laufen wir Gefahr, in einem Beruf festzustecken, der zwar unseren Lebensunterhalt sichert, uns jedoch innerlich entleert, unsere wahren Potenziale unterdrückt und letztendlich zu einer tiefen Lebensunzufriedenheit führt

Im Hinblick auf Selbstbildung und Wissen neigen viele Menschen dazu, dem vorgegebenen Bildungssystem und den ausgetretenen Pfaden zu folgen. Anstatt jedoch lediglich den vorgefertigten Wegen zu folgen, sollten wir uns eingehend damit auseinandersetzen, welches Wissen im Einklang mit unserem wahren Selbst steht und wirklich angestrebt wird. Die „echte Wahl“ zeigt sich in der aktiven Entscheidung für einen Bildungsweg, der unsere innersten Interessen und Bestrebungen widerspiegelt.

In der Freizeitgestaltung tendieren viele Menschen dazu, sich von Unterhaltungsmedien leiten zu lassen. Eine „echte Wahl“ hingegen zeigt sich in der bewussten und aktiven Auswahl dessen, was unserer persönlichen Entwicklung, unserem Wohlbefinden und unserer wahren Freude entspricht.

Halbherzige Hingabe an einen Glauben ist eine verpasste Gelegenheit, die wahren Tiefen und Bedeutungen religiöser Überzeugungen zu erkunden. Egal ob Christentum, Islam oder jede andere Religion – wenn man sich entscheidet zu glauben, dann sollte dieser Glaube aus tiefster Überzeugung und nicht aus Bequemlichkeit oder bloßer Tradition heraus gelebt werden. Ein wahrhaftiger Glaube erfordert ein aktives Hinterfragen, Reflektieren und eine Tiefe, innere Verbindung zu den eigenen Überzeugungen. Alles andere ist nur ein Schatten dessen, was Glauben in seiner vollen Intensität bieten kann.

Die Gründung einer Familie, die Entscheidung, jemanden zu heiraten, Beziehungen zu pflegen, sich vielleicht politisch zu engagieren oder den Wunsch, ein moralisch besseres Leben oder auch religiöses Leben zu führen – all diese Aspekte zeigen, wie tiefgreifend eine Wahl sein kann. Es handelt sich um einen Lebensentwurf, der im Einklang mit unserem wahren Selbst und unseren tiefsten Wünschen steht

Authentizität durch bewusstes Wählen

Die Wahl ist auch nicht einfach nur eine Option; sie ist ein Privileg und eine Verantwortung, eine Gabe und zugleich Aufgabe. Sie ist Ausdruck von Authentizität und Selbstbestimmung. Indem wir uns bewusst für einen Weg entscheiden, stehen wir zu unseren innersten Werten, Bedürfnissen und Zielen. So ermöglicht sie uns nicht nur langfristige Zufriedenheit und Erfüllung, da wir Wege wählen, die im Einklang mit unseren langfristigen Visionen stehen, sondern betont auch unsere Verantwortung und Freiheit, unser Leben selbst zu entwerfen. Wir sind nicht nur verantwortlich für unsere Wahl, sondern haben auch die Freiheit, diese zu überdenken und anzupassen, um unseren wahren Absichten näher zu kommen. Und in dieser selbstbestimmten Wahl liegt unsere Individualität. Die Ausübung der Wahl formt unsere Persönlichkeit, prägt unseren einzigartigen Lebensweg und zeugt von der Tiefe unseres Charakters.

Warum also ist wichtig zu wählen? Die Wahl ist die Brücke zwischen unserer endlichen Existenz und den unendlichen Möglichkeiten des Lebens. Indem wir wählen, geben wir unserem Leben eine Richtung und Bedeutung. Ohne die Fähigkeit zur Wahl wären wir in einem endlosen Zustand der Passivität gefangen, in dem wir lediglich auf äußere Einflüsse reagieren würden. Sie ist der Ausdruck unserer Existenz als frei handelnde Individuen, die aktiv Gestalter ihres eigenen Lebens sind.

Die Folgen des Unbewussten Lebenswegs

Aber was sind die möglichen Folgen eines Lebens, in dem wir uns der Wahl nicht stellen? Ein unbewusster Lebensweg mag zunächst bequem erscheinen, da er uns davor bewahrt, uns den komplexen Fragen und Entscheidungen des Lebens zu stellen. Doch auf lange Sicht birgt er Gefahren: Ein solcher Weg führt uns oft zu einem Dasein, das zwar von äußeren Erwartungen geprägt, aber nicht von unserem innersten Kern bestimmt wird.

Das Resultat ist ein passives Leben, in dem wir mehr auf die Einflüsse unserer Umgebung reagieren als aktiv unsere eigene Richtung zu bestimmen. In dieser Passivität riskieren wir, die Kontrolle über unser eigenes Schicksal zu verlieren und uns in einem Leben wiederzufinden, das sich entfremdet und unerfüllt anfühlt.

Ein Leben, das nicht aktiv gewählt wird, kann zu einem Gefühl der Entfremdung von sich selbst führen. Es besteht die Gefahr, dass wir uns fragen, ob die Wege, die wir eingeschlagen haben, wirklich unsere eigenen sind. Doch in der bewussten Wahl liegt die Chance zur Wiederverbindung mit uns selbst, zu tieferer Zufriedenheit und einem authentischen Dasein. Es liegt in unserer Macht, uns dieser Wahl zu stellen und die Richtung unseres Lebens bewusst zu bestimmen.

Schlussbetrachtung

Während flüchtige Entscheidungen uns im Alltag begleiten und oftmals das Resultat unmittelbarer Umstände oder Stimmungen sind, fordert die Wahl von uns eine tiefere Selbstreflexion und Auseinandersetzung mit unseren Werten.

Die Wahl verkörpert nicht bloß eine Handlung, sondern ein Bekenntnis zu uns selbst, zu unseren Überzeugungen und zur Verantwortung, die wir für unsere eigene Lebensgestaltung tragen. Sie zeugt von unserer Fähigkeit, über den Moment hinauszusehen, und von unserem Streben, unser Leben mit Bedeutung zu füllen. Als Gestalter unserer Existenz haben wir nicht nur die Macht, sondern auch die Pflicht, uns dieser tiefen Bedeutung der Wahl bewusst zu werden.

Mögen wir stets den Mut finden, nicht nur zu entscheiden, sondern bewusst und authentisch zu wählen und so unseren eigenen, einzigartigen Pfad im Leben zu formen.


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