Freiheit eine Illusion
Philosophie des Geistes

Freiheit, eine Illusion?

Lesedauer 5 Minuten

Jenseits des Determinismus: Die Suche nach Freiheit in einer vorherbestimmten Welt

Wenn ich es auf den Punkt bringen soll, dann ist die Wahl für Kierkegaard vollzogene Freiheit. Jetzt können Sie natürlich anfangen zu glauben, was Ihnen die Hirnforschung die ganze Zeit einredet. Freiheit ist eine Illusion. Für die meisten ist das schwierig zu akzeptieren. Lassen wir zunächst mal beiseite, dass es daran berechtigte Zweifel gibt.

Nehmen wir also an, dass Freiheit eine Illusion ist. Klar ist, dass ich diesen Artikel nicht ohne Grund schreibe. Irgendwas hat ihn ausgelöst. Glaub man der Hirnforschung, habe ich mich gar nicht dazu entschieden diesen Artikel zu schreiben. Wobei das einer Klarstellung bedarf. Tatsächlich habe ich mich dazu entschieden, allerdings nicht frei. Genauso wenig wie Sie, indem Sie diesen Artikel hier lesen. Warum also sind wir hier? Die Erklärung ist ein Determinismus. Eine physikalisch-neuronale und kausale Verkettung hat uns hierhergeführt. Sie musste uns hierherführen, denn wenn es stimmt, dann hätten wir gar nicht anders entscheiden können.

Dies setzt folgendes voraus: Das Universum ist vollständig physikalisch erklärbar. Das bedeutet, es gibt nur Materie und alle unsere Entscheidungen und Handlungen sind Ergebnisse physikalischer Prozesse. Was wir als freien Willen empfinden, ist ein Epiphänomen dieser komplexen neuronalen Prozesse. Der Wille selbst ist keine eigenständige kausale Kraft, sondern ein Nebenprodukt der physikalisch-neuronalen Aktivitäten unseres Gehirns. Aus diesem epiphänomenalen Willen resultiert dann das Gefühl von Freiheit.

Wissen Sie, empirische Wissenschaften wie etwa auch die Hirnforschung haben verständlicherweise ihre Schwierigkeiten mit Konzepten wie Freiheit. Sie können gar nicht anders. Wie wollen Sie als empirischer Wissenschaftler erklären, dass wir freie Entscheidungen treffen, wenn alles, was Sie messen können, physikalische Zustände sind? Jede Entscheidung, so scheint es, ist das Ergebnis einer kausalen Kette, die durch das Gehirn läuft, und doch fühlen wir uns als Herren unserer eigenen Entscheidungen.

Nun, wissen Sie, ich hatte die Hoffnung, dass wir diesen harschen Physikalismus im 20. Jahrhundert hinter uns gelassen hätten, aber er scheint präsenter als je zuvor. Und er wird mir immer unsympathischer. Es soll hier aber nicht um Sympathie gehen. Allerdings frage ich mich immer noch, wie es der empirischen Wissenschaft gelingt, etwas auszuschließen, was sie objektiv weder erforschen noch belegen kann. Ich will es mit einem Satz, der nicht von mir stammt, zusammenfassen: Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt, sie ist die messbare Seite der Welt. Das mag jetzt pathetisch daherkommen, ist aber logisch fundiert. Denn auch wenn empirische Wissenschaften mächtige Werkzeuge zur Erforschung und Erklärung der Welt sind, der materiellen Welt, so stoßen sie an ihre Grenzen, wenn es um das Verständnis nicht-materieller Gegenstände wie etwa Freiheit geht. Sie können das ganz einfach verstehen, wenn Sie sich einmal vorstellen, was Ihnen die empirische Wissenschaft dazu rät, wenn Sie wieder einmal Schwierigkeiten im Büro haben, die Stimmung in Ihrer Fußballmannschaft gerade am Boden ist oder Sie vor einem ethischen Dilemma stehen. Übrigens, nur für den Fall, dass Sie Physikalist sind und nun sagen werden, es gibt nur eine materielle Welt und keine nicht-materielle, dann müssten Sie mir noch erklären, wie Sie Konzepte wie Sinn und Bedeutung physikalisch erklären wollen.

Das alles jedenfalls hat weitreichende Implikationen. Eine davon ist: unser Leben ist vorherbestimmt. Das heißt dann aber auch, egal wie sich entscheiden, auch wenn Sie sich doch noch anders entschieden haben, führte letztendlich zu der Entscheidung, die Sie hätten treffen müssen.

Mich interessiert dabei allerdings die Frage, welche praktischen Auswirkungen das alles auf mich hat. Konkret gesprochen, ist es die Frage: Was fange ich jetzt damit an? Was fange ich mit einem vorherbestimmten Leben an. Lehne ich mich jetzt zurück und lasse alles auf mich zukommen, weil, es kommt ohnehin, wie es kommt. Habe ich einen Grund etwas an meinem Leben verändern zu wollen, wenn ich gar nicht wollen kann, was ich will. Begriffe wie die der Wahl, aber viel schlimmer noch, die der Verantwortung hätten keine Bedeutung mehr. Spitzen wir es einmal so zu:

Welche Bedeutung haben Freiheit und Verantwortung in einem deterministischen Universum?

Am Ende stellt sich dann die Frage, ob ich mit einem Weltbild im Rücken, dass Freiheit eine Illusion, die Welt vollständig determiniert und physikalisch beschreibbar sei nicht besser gleich eine fatalistische Haltung einnehmen sollte, in der ohnehin jedes zutun sinnlos ist, weil ich keinerlei Einfluss auf den Lauf der Welt habe. Spitzen wir es einmal weiter zu.

Freiheit, eine Illusion? Wo sehen sie in einem solchen Weltbild überhaupt noch Raum für sich?

Was und wer sind Sie, wenn Sie keinerlei Einfluss auf sich und die Welt nehmen können? Einmal in Gang gesetzt marschieren Sie, solange Sie ihre Beine tragen und dann verschwinden Sie wieder dorthin, wo Sie hergekommen sind. Dazwischen erleben Sie alles, was sich das Universum für Sie ausgedacht hat und unterliegen dabei der Illusion, selbst das Ruder in der Hand zu haben. Was für ein Auftritt soll das bitte schön sein?

Wissen Sie, ich respektiere die Wissenschaft sehr, ja ich bin von ihr fasziniert. Aber ich erkenne ihre Grenzen an. Natürlich höre ich schon die Worte derer in den Ohren klingeln: Sie müssen es aber akzeptieren, es ist ebenso. Wir finden keine Freiheit im Gehirn. Dabei vielleicht noch eine kleine Anmerkung. Auch das Akzeptieren ist ein Akt der Freiheit, übrigens genauso, wie darüber Forschung zu betreiben.

Emergentismus, die Lösung?

Eine Lösung für diese zermürbenden Gedanken einer unfreien und determinierten Welt bietet der Emergentismus. Freiheit wäre hier nicht bloß ein einfaches Produkt neuronaler Prozesse, sondern eine emergente Eigenschaft, die aus der unglaublichen Komplexität unseres Gehirns entsteht. Stellen Sie sich „emergent“ als etwas vor, das entsteht, wenn einzelne Elemente zusammenwirken und dadurch etwas völlig Neues schaffen, das man nicht vorhersagen konnte, indem man nur die einzelnen Teile betrachtet.

Es ist ein bisschen wie bei einem Korallenriff: Obwohl jede Koralle ihre eigene kleine Funktion erfüllt, entsteht aus ihrem Zusammenspiel ein komplexes Ökosystem, das nicht auf das bloße Addieren der Eigenschaften einzelner Korallen reduziert werden kann. Diese Ansicht eröffnet uns eine Welt, in der Freiheit nicht nur eine Illusion ist, sondern eine reale und wirkmächtige Kraft, die aus den Tiefen unserer eigenen biologischen Natur emergiert. Es bietet einen Ausweg aus dem erdrückenden Gedanken, dass unser Leben vollständig durch die physikalischen Zustände unseres Gehirns vorherbestimmt ist. Das Bewusstsein und damit auch die Freiheit so gedacht, wäre ein emergentes Produkt aus dem Zusammenspiel hochkomplexer neuronaler Netzwerke.

Freiheit, eine Illusion? Abschließende Gedanken

Ich möchte es abschließend so sagen. Lassen Sie sich nicht beirren. Sie sind weiterhin für ihr eigenes Leben verantwortlich. Diese Verantwortung nimmt ihnen kein Universum ab. Bleiben sie agil, erfinden sie sich neu, verlieren sie nicht den Mut und glauben sie an sich. Zeigen sie dem Universum, dass sie es ernst mit sich meinen. Zeigen sie, dass sie mehr sind als ein komplex organisierter Zellhaufen. Machen sie etwas, mit dem das Universum nicht gerechnet hat. Lernen sie eine Sprache, nehmen sie ab, machen sie eine Weiterbildung oder beschäftigen sie sich mit etwas, das sie zuvor nie interessiert hat. Vielleicht lernen sie noch eine neue Seite von sich kennen.

Schließen wir mit Kierkegaard:

Das Ungeheure, das einem Menschen eingeräumt wird, ist die Wahl, die Freiheit.

. . . .

Mich würde es brennend interessieren, wie sie darüber denken? Lassen sie es mich wissen!



Interne Links:

Freiheit im Stoizismus

Externe Links:

Spektrum.de: Lexikon der Neurowissenschaft – Emergentismus


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