Utilitarismus: Technik oder Ethik?
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Der Utilitarismus: Eine Technik oder eine Ethik?
Der Utilitarismus wird häufig als eine Art ethische Theorie betrachtet, die sich innerhalb der philosophischen Ethik bewegt. Bei genauerem Hinsehen stellt sich aber die Frage, ob es sich damit tatsächlich um eine Ethik im herkömmlichen Sinne handelt, oder ob er vielmehr eine Methode darstellt, um praktische Lösungen für konkrete Probleme zu finden. Die utilitaristische Denkweise basiert auf einer „Wenn-Dann-Kalkulation“, welche die Konsequenzen von Handlungen in den Vordergrund stellt, ohne dabei absolute Normen, Werte oder Tugenden zu beanspruchen. Diese Herangehensweise hat den Utilitarismus traditionell näher an die politische Philosophie als an individualethische Fragestellungen gerückt.
Technik oder Ethik: Historische Ursprünge und Entwicklungen des Utilitarismus
Die Wurzeln des Utilitarismus liegen vor allem im angelsächsischen Raum. Ein zentraler Vertreter dieser Denkrichtung war der britische Philosoph Jeremy Bentham (1748-1832), der als Begründer des systematischen Utilitarismus gilt. Bentham entwickelte den Utilitarismus als ein Kalkül, das die erwarteten Folgen von Handlungen abwägt. Sein Ansatz blieb dabei theoretisch und lieferte keine moralische Motivation im deontologischen, also pflichtethischen Sinne, wie sie etwa bei Kant zu finden ist. Für Bentham war der Maßstab des Handelns der „größte Nutzen für die größte Zahl“, wobei er die moralische Qualität der angestrebten Ziele nicht hinterfragte. Dies führte dazu, dass der Utilitarismus oft als eine objektive und neutrale Methode erschien, um Handlungsfolgen zu analysieren. Doch diese vermeintliche Objektivität kann leicht in ein Sinnvakuum münden, wenn Effektivität über ethische Prinzipien gestellt wird und wenn solche Zielsetzungen nicht kritisch geprüft werden.
Kritik und Weiterentwicklungen: Von Bentham zu Mill
John Stuart Mill (1806–1873), Schüler von Jeremy Bentham, versuchte, den Utilitarismus weiterzuentwickeln und auf ungelöste Probleme hinzuweisen. Mill erkannte, dass nicht alle Freuden gleich sind und betonte, dass geistige und intellektuelle Freuden höher zu bewerten seien als bloß körperliche Genüsse. Diese Differenzierung zeigte, dass die Qualität der Freuden eine Rolle spielt, nicht nur deren Quantität.
Beziehung zwischen Gerechtigkeit und Nutzenkalkül
Ein zentraler Punkt in Mills Überlegungen war die Berücksichtigung von Gerechtigkeitsfragen. Mill argumentierte, dass gerechte Handlungen langfristig zu einem größeren allgemeinen Glück führen und dass Gerechtigkeit daher ein integraler Bestandteil des utilitaristischen Prinzips sein sollte. Dennoch gibt es Spannungen zwischen Gerechtigkeit und Nutzenkalkül: Was gerecht erscheint, bringt nicht immer den größten Gesamtnutzen. Es gelang Mill nicht, diese Widersprüche zu aufzulösen.
John Stuart Mill legte den Grundstein für eine Sichtweise, die später als Regelutilitarismus bekannt wurde. Er verstand das Prinzip des „größten Glücks der größten Zahl“ als ein Gerechtigkeitsprinzip. Das faktische Unglück der kleinstmöglichen Zahl muss gerecht sein, und erst dann ist es gerechtfertigt. Der Regelutilitarismus fokussiert dabei nicht auf einzelne Handlungen, sondern auf allgemeine Handlungsregeln oder Maximen (wie etwa die Maxime der fairen Verteilung, der Nicht-Schädigung usw.), die langfristig den größten Nutzen bringen sollten.
Die Generalisierung dieser Maximen kommt nicht ohne Probleme aus. Durch das Streben, subjektive Nutzenabwägungen als objektive Wahrheiten darzustellen, entsteht ein Risiko der Verfälschung. Subjektive Einschätzungen werden zu vermeintlich objektiven Maßstäben erhoben, was ihre eigentliche empirische und subjektive Natur verschleiert. Dies bedeutet, dass die auf Beobachtungen basierenden Bewertungen, trotz ihres Anscheins der Neutralität, tatsächlich von persönlichen Werten und Überzeugungen beeinflusst sind, was ihre Verallgemeinerung als universelle Regeln problematisch macht.
Trotz dieser Herausforderungen war sich Mill der Schwierigkeiten einer rein subjektiven Entscheidungsfindung bewusst. Er sah die Notwendigkeit, irrationalen individuellen Vorlieben durch rationale, verallgemeinerbare Regeln entgegenzuwirken, die das Gemeinwohl fördern. Dieser Aspekt seines Denkens wird besonders in seinem Werk „On Liberty“ deutlich, in dem er die Funktion des Staates auf die Vermeidung von Schaden beschränkt, gleichzeitig jedoch eine utilitaristische Rechtfertigung für staatliche Eingriffe liefert, wenn sie das allgemeine Wohl erhöhen. Mills Ansatz versucht, eine Balance zwischen individueller Freiheit und der Verpflichtung zur Förderung des Gemeinwohls zu finden, und zeigt so die Komplexität seiner utilitaristischen Philosophie.
Moderne Strömungen und Differenzierungen im Utilitarismus
Traditionell geht der Utilitarismus davon aus, dass eine Handlung dann gut ist, wenn sie das größte Glück für die größte Zahl von Menschen erzeugt. Also wird immer gefragt: Welche Entscheidung führt dazu, dass die meisten Menschen glücklich oder zufrieden sind?
Präferenzutiliarismus
Der Präferenzutilitarismus verändert diese Frage ein wenig. Er fragt nicht nur danach, was die meisten Menschen glücklich macht, sondern was die meisten Menschen wollen oder bevorzugen. Mit anderen Worten, anstatt einfach nur auf allgemeine Gefühle von Glück oder Freude zu achten, schaut der Präferenzutilitarismus darauf, was die Menschen tatsächlich als ihre eigenen Wünsche oder Ziele haben.
Wie aber, passt das in die ursprüngliche Formel des größten Nutzens? Im Präferenzutilitarismus wird der Nutzen nicht mehr nur durch Glück oder Lust definiert, sondern durch die Erfüllung der Wünsche und Bedürfnisse der Menschen. Wenn viele Menschen eine bestimmte Sache wollen, dann hat es einen hohen Nutzen, wenn diese Sache verwirklicht wird. Es geht also um die Maximierung der Erfüllung von Wünschen, nicht nur um Steigerung des Glücks im Allgemeinen.
Ein Beispiel: Nehmen wir die Frage, ob ein Park oder ein Parkplatz gebaut werden soll. Traditioneller Utilitarismus könnte sich einfach auf das Glück konzentrieren – der Park würde wahrscheinlich mehr Freude bringen als der Parkplatz. Der Präferenzutilitarismus hingegen würde fragen, was die Menschen in der Umgebung wirklich bevorzugen. Vielleicht brauchen viele Menschen tatsächlich den Parkplatz, weil sie täglich mit dem Auto zur Arbeit fahren. In diesem Fall würde die Erfüllung der Präferenz (Parkplatz) als nützlicher betrachtet werden.
Dieses Konzept bringt neue Fragen auf, wie etwa: Was passiert mit denen, die ihre Wünsche nicht äußern können? Zum Beispiel Neugeborene oder Menschen im Koma? Wenn der Fokus nur auf den Präferenzen liegt, könnten diese Gruppen weniger Beachtung finden. Das zeigt, dass der Präferenzutilitarismus nicht nur auf Glück achtet, sondern auch, was Menschen wirklich wollen – und das macht die ethische Diskussion komplexer.
Utilitarismus – Technik oder Ethik? Abschließende Gedanken:
Der Utilitarismus bleibt eine viel diskutierte Theorie in der philosophischen Ethik. Seine Betonung der Folgen und sein pragmatischer Ansatz machen ihn zu einer verlockenden Methode für die politische Philosophie und für Entscheidungen, die auf gesellschaftlicher Ebene getroffen werden müssen.
Eine Kritik bleibt aber bestehen: Der Utilitarismus, wenn er sich selbst als absolute Ethik versteht, führt zu einem Nihilismus der Zwecke, bei dem alles und jedes nur noch zum Mittel für den größtmöglichen Nutzen degradiert wird. Daher ist es entscheidend, die Grenzen des utilitaristischen Denkens zu erkennen und den Utilitarismus als das zu betrachten, was er letztlich ist – ein Instrument zur Abwägung von Handlungsfolgen, das in bestimmten Kontexten nützlich sein kann, aber nicht als alleinige Grundlage für eine umfassende Ethik taugt.
Interne Links:
Kierkegaard: Ethik für Rebellen
Epikur: Epikur: „Lebensfreude geht durch den Magen“
Externe Links:
Spektrum.de: Metzler Lexikon Philosophie: Utilitarismus
Stanford Encyclopedia of Philosophy: Utilitarianism