Realität und Wirklichkeit
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Metaphysik,  Philosophie

Realität und Wirklichkeit – Dasselbe oder doch nicht?

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Lesedauer 4 Minuten

Realität und Wirklichkeit – Dasselbe oder doch nicht und was das alles mit Platon zu tun hat

Ist der Weihnachtsmann nun real oder wirklich. Oder keines von beiden. Für alle drei Möglichkeiten lassen sich Argumente finden, aber gerade die deutsche Sprache bietet mit „Realität“ und „Wirklichkeit“ eine ontologisch aufschlussreiche begriffliche Unterscheidung an. Frage ich meine Kinder, ob es den Weihnachtsmann „gibt“, sagen sie „irgendwie schon“ aber halt nicht „in echt“. Das ist auf der einen Seite durchaus nachvollziehbar, denn dieser Weihnachtsmann ist höchstwahrscheinlich keine reale Person. Dass es „etwas gibt“ oder in „echt gibt“ sind dabei aber vage Begriffe, denn sie lassen sich weit auslegen. Ob der Weihnachtsmann also existiert oder nicht, ist eine Frage darüber, wie Existenz überhaupt verstanden wird. In der Philosophie geht es oft um Begriffe und deren Beziehungen und Repräsentationen. In diesem kurzen Text möchte ich auf die Begriffe „Realität“ und „Wirklichkeit“ eingehen, die wir im Alltag häufig verwenden, deren tiefere Bedeutung jedoch oft unreflektiert bleibt. Es soll also darum gehen, was unter Realität und Wirklichkeit zu verstehen ist und wie das alles mit Platon zusammenhängt.

Realität vs. Wirklichkeit – was ist was?

Nicht selten, verwenden wir die Begriffe Realität und Wirklichkeit, als wären sie synonym, aber bei näherem Hinsehen, zeigt sich ein bedeutender Unterschied. Nehmen wir dazu also den eingangs erwähnten Weihnachtsmann als Beispiel, denn eines sei vorweggenommen, der Weihnachtsmann ist nicht real, aber er ist wirklich.

Die Realität

Realität ist der wahrscheinlich prominentere Vertreter beider Begriffe. Das liegt vielleicht auch daran, dass im angelsächsischen Sprachraum der Begriff der „Realität“ umfassend verwendet wird, „Wirklichkeit“ jedoch nicht oder nicht in dieser Weise. Es gibt nämlich keinen englischen Begriff für Wirklichkeit, denn diese wird gemeinhin mit dem Begriff „Reality“ übersetzt.

Was aber meinen wir, wenn wir von Realität sprechen? Eine einfache und nachvollziehbare Erklärung wäre es zu sagen, dass Realität alles bezeichnet „was es gibt“. Im Falle des Weihnachtsmannes und vielen anderen geistigen Konstruktionen aber, ist das nicht so einfach. Denn auf irgendeine Weise gibt es den Weihnachtsmann. Das trifft übrigens nicht nur auf den Weihnachtsmann zu, sondern auch auf Hamlet, den Kapitalismus, die Demokratie oder die Marke „Mercedes“.

Seien es also literarische Figuren, Charaktere aus Erzählungen und Märchen, Wirtschaftssysteme, den perfekten Kreis oder die Gerechtigkeit. Diese nicht-materiellen Gegenstände gibt es, jedenfalls als Ideen. Ob sie nun Teil der Realität sind, lässt sich so, aber schlecht beantworten. Gehen wir also einen anderen Weg.

Der Begriff der Realität kommt vom lateinischen „res“, was „Sache“ oder „Ding“ bezeichnet. Verwenden wir also den Begriff der Realität, meinen wir die dingliche, sachliche, also weitestgehend die physikalische Welt der Dinge. Ein Stein wäre damit ein realer, physischer Gegenstand. Wir können ihn anfassen, werfen oder ihn zerstören. Auch Sie und ich sind real und damit Gegenstände der Realität. Das ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass Sie besagten Stein nach mir werfen können. Anders verhält es sich, wenn Sie den Stein nach dem Weihnachtsmann werfen möchten. Das werden Sie nicht schaffen, denn jener scheint aus einer anderen Welt zu kommen, wirkt aber auf irgendeine Weise auf die Realität. Sie können wohl schon ahnen, wo das ganze hinführt.

Die Wirklichkeit

Anders als die Realität, referiert die Wirklichkeit nicht notwendig auf reale Gegenstände. Aber sie kann. Die Wirklichkeit geht über die dingliche, reale Welt hinaus. Ein Stein ist notwendig Teil der Realität und der Wirklichkeit. Sie und ich ebenfalls. Der Weihnachtsmann hingegen ist nicht real, aber er wirkt auf wundersame Weise in dieser Welt. Sie können das hier wunderbar sehen.

Die Wirklichkeit ist also nicht mit der Realität identisch. Wie wir gesehen haben, erzeugt ein Stein in der Realität Wirkungen. Wenn Sie ihn nach mir werfen, wird das vermutlich weh tun. Liegt er einfach nur da, sammelt sich unter dem Stein alles Mögliche, was sich in der Realität unter einem Stein so sammelt. Der Weihnachtsmann hingegen ist kein physikalischer Gegenstand. Ihm kann der Stein nichts anhaben. Sie können den Weihnachtsmann auch nicht einfach aus der Welt schaffen, wenn Sie ein Problem mit ihm haben. Der Weihnachtsmann erzeugt als Idee Wirkungen und nimmt Einfluß auf die Welt, obwohl er kein realer Gegenstand ist. Er bringt etwa Menschen dazu sich wie der Weihnachtsmann zu verkleiden oder Kinder dazu, an ihn zu glauben. Er ist damit wirklich.

Platons Ideenlehre und was das alles mit Realität und Wirklichkeit zu tun hat

An dieser Stelle ist ein Blick auf Platons interessant. Für Platon ist die Welt in zwei Reiche unterteilt: das Reich der Ideen und das Reich der sinnlichen Welt. Die Ideen oder Formen existieren in einer übergeordneten, ewigen Wirklichkeit – sie sind vollkommen, unveränderlich und unabhängig von der materiellen Welt. Diese Ideen sind für Platon die wahren Wesenheiten der Dinge, während ihre Erscheinungen in der physischen Welt nur unvollkommene Abbilder darstellen.

Betrachten wir dies anhand zweier Beispiele: das mathematische Konzept eines perfekten Kreises und die Idee der Gerechtigkeit. Beide sind wirklich in Platons Sinne, auch wenn kein physischer Kreis jemals vollkommen rund ist und Gerechtigkeit sich in der realen Welt nie vollständig verwirklichen lässt. Dennoch sind diese Ideen in ihrer abstrakten Form vollkommen und besitzen eine eigene Wirklichkeit, unabhängig davon, ob sie in der physischen Welt existieren.

Beziehen wir diese Sichtweise nun auf den Weihnachtsmann, den Kapitalismus oder die Gerechtigkeit entsteht ein schlüssiges Bild. In Platons Sinne wären diese Konzepte Teil der Ideenwelt, die wirklich ist, jedoch nicht notwendigerweise real im Sinne einer physischen Existenz. So wie der perfekte Kreis oder die Gerechtigkeit wirklich sind, auch wenn sie nicht greifbar sind, existiert die Idee des Weihnachtsmannes – er ist wirklich, auch wenn er keine physische Präsenz hat.

Realität und Wirklichkeit: Abschließende Gedanken

Am Ende zeigt sich, dass das, was real und das, was wirklich ist, nicht unbedingt dasselbe sein muss – Realität und Wirklichkeit sind keine getrennten Welten, aber auch nicht identisch. Der Weihnachtsmann ist wohl nicht real, doch niemand wird leugnen, dass er tief in der kollektiven Vorstellung verankert ist und auf wundersame Weise unsere Realität beeinflusst. Dies gilt nicht nur für den Weihnachtsmann, sondern genauso für Mythen, die Demokratie, den Kapitalismus oder die Sprache. Denn in Bezug auf letzteres zweigt sich eines deutlich. Wörter sind selbst keine physischen Realitäten, doch durch Sprache konstruieren wir Bedeutungen und Wirklichkeiten, die unser Denken und Handeln prägen.

In einer Welt, in der Ideen und Vorstellungen wie die Platonische Ideenlehre suggeriert, eine eigene Wirklichkeit haben, sollte uns bewusst sein, welche Rolle diese „wirklichen’“ aber nicht realen Dinge in unserem Leben spielen. Denn letztlich ist es eben nicht immer die physische Realität,  sondern gerade und vor allem die Wirklichkeit, die unsere Überzeugungen und Vorstellungen prägt  – egal, ob sie sich in Stein meißeln lassen oder nur in unseren Köpfen existieren.



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